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Max - das Blechmännchen

Von Heidrun Gemähling


Seit vielen, vielen Jahren schon lag in einer alten Spielzeug-Reparaturwerkstatt, ganz oben in einer Ecke von einem Holzregal, ein Blechmännchen, dessen rechtes Bein beschädigt war. Die bunte Farbe an ihm war verblasst und sein Gesicht sah ganz traurig aus, denn es sehnte sich so sehr nach dem kleinen Mädchen, das mit ihm stets liebevoll gespielt hatte. Es hieß Julchen und wohnte in einer großen Stadt mit dem Namen Hannover. Der alte Mann in der Werkstatt war vor einiger Zeit gestorben und seitdem ist noch kein Mensch wiedergekommen. Doch gab es den kleinen Jan, der immer so neugierig war und alles erkunden wollte.
So kam es eines Tages, dass er sich heimlich durch die große Katzentür schlich und sich ganz aufgeregt in dem Raum umsah. Überall lagen kaputte Spielsachen herum, die der alte Mann nicht mehr reparieren konnte. Jan kletterte auf ein Regal und entdeckte sofort das Blechmännchen, das ihn so hilflos und traurig anblickte. "Ich heiße Max und möchte so gerne mal nach draußen, doch bin ich sehr eingerostet und kann nicht mehr von alleine laufen!" Der kleine Bub hatte schon oft in der Werkstatt zugeschaut und holte eine alte verschmierte Ölkanne herbei und schüttete den Inhalt über ihn aus. "So, jetzt wirst Du bald wieder laufen können und Dir die Stadt ansehen können", sagte Jan mit großem Stolz.
Es vergingen einige Tage und Max spazierte alleine in die Welt hinaus. Doch musste er sich öfters verstecken, wenn die Hunde an ihm vorbeisausten. Aber die kümmerten sich gar nicht um ihn, denn er stank sehr nach Öl, das Hunde nicht mögen. Eines Tages kam er an ein großes Riesen-Haus, mit Türmen, Fenstern und Türen. Er umschlich es von allen Seiten und entdeckte auch einen kleinen See. Wenn die Nacht kam und alles ringsherum dunkel war, wurde das ganze Gebäude hell erleuchtet. Welch ein Anblick! Im Stillen malte er sich aus, einmal die vielen Dächer zu begehen um von dort oben sein geliebtes "Julchen" ausfindig zu machen. Dieser Wunsch wurde in ihm immer stärker und er fasste allen Mut zusammen und sprach einen Igel an, der nachts an ihm vorbeikrabbelte. "Du, Igel, kannst Du mir dort oben aufs Dach helfen?" "Nein, Du Stinki, das kann ich nicht!". Der kleine Blech-Maxe ließ nicht locker und fragte am frühen Morgen einen Spatzen, der zur Morgenwäsche in der Pfütze baden wollte. "Du, kleiner Spatz, kannst Du mir dort oben aufs Dach helfen?" "Nein, Du Blechvogel, das kann ich nicht!" Nach einiger Zeit sah er eine ganz junge Stadtkatze, die mit Blättern spielte und sich sichtlich amüsierte. Er ging auf sie zu und fragte: " Du, kleiner Springinsfeld, kannst Du mir dort oben aufs Dach helfen?" "Nein, Du komisches Ding, das kann ich nicht", sagte die entrüstete Katze.
Max wollte nicht aufgeben und umrundete viele Male das schöne, große und altehrwürdige Haus. Es war das alte Rathaus. Jetzt wusste er wo er war und wo er hinauf wollte. Als er bei seinen Runden an dem kleinen See hinter dem Rathaus ankam, entdeckte er einen Riesenvogel der im seichten Wasser umherstolzierte und ab und an mit dem Schnabel ins Wasser tauchte. Sofort kam ihm die Idee, dass der vielleicht helfen könnte und fragte ganz höflich: "Du, großer Vogel, kannst Du mir dort oben aufs Dach helfen?" "Aber ja, Du kleiner Held, das will ich gerne tun!" Sogleich watete der Vogel Storch aus dem Teich und beugte sich zu dem kleinen Blechmännchen hinunter, breitete seine Flügel aus und forderte ihn auf, sich auf seinen Rücken zu setzen. Voller Eifer kam Max dieser Bitte nach, kletterte mit Schwung auf seinen Federrücken und hielt sich mit seinen winzigen Blechhänden ganz fest. Der Storch machte einige Flügelschläge und schon ging die Reise los, in unbekannte und ungewohnte Welten. Höher und höher erhoben sie sich in die Lüfte, umkreisten das alte Rathaus in seiner ganzen Pracht und landeten schließlich auf dem höchsten Punkt der Dächer. "Was willst Du denn eigentlich hier oben", fragte neugierig der Storch und stellte sich auf ein Bein neben ihn. "Ich suche nach meinem lieben Julchen, das mit mir vor langer, langer Zeit so liebevoll gespielt hatte und mich eines Tages aber in der Spielzeugwerkstatt abgegeben hatte. Sie kam nie wieder und so lag ich einsam und vergessen in einem verstaubten Regal, bis mich Jan, ein kleiner Junge, aus meiner traurigen Lage befreite", erzählte Max ganz ruhig. "Ach so!" seufzte der große Vogel und flog auf und davon.
Sturm kam dann plötzlich auf und heulte fürchterlich über die Rathausdächer. Max bekam große Angst, denn seine kleinen Blechhände wurden starr vor Kälte und er rutschte und rutschte in die Tiefe. Doch plötzlich hoben ihn unbekannte Kräfte empor, schaukelten ihn hin und her. Es waren stürmische Winde, die über die Stadt hinwegrasten. Über einem Meer von Häusern sank er erschrocken ab und landete auf einem Balkon mit bunten Blumen. Es stürmte viele Tage lang, doch dann trat eines Tages eine alte Frau auf den Balkon, um verwelkte und alte Blüten abzuzupfen. Plötzlich entdeckte sie voller Erstaunen inmitten der schönen Blumen ihr geliebtes Blechmännchen aus ihrer Kinderzeit. Sie streckte Ihre Hände nach ihm aus und rief voller Freude: "Da bist Du ja, mein kleines Mäxchen. Ich habe nach dem Krieg lange nach Dir in der zerbombten Wohnung gesucht und Dich nie gefunden!" "Julchen, weißt Du nicht mehr, dass Du mich zum Reparieren abgegeben hattest und mich nie mehr abgeholt hast ", erwiderte verwundert Max. "Nein, Du kleines Kerlchen, das muss ich durch all die Kriegswirren vergessen haben", sagte leise das nun alte Julchen.
Nie wieder haben sich die beiden getrennt. Max, das treue Blechmännchen, wurde liebevoll gesäubert, neu angemalt und von seinem Julchen wieder innig geliebt.




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