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Es war einmal ...

Von Eva Müller


...eine kleine Prinzessin. Sie war nicht so, wie man sich Prinzessinnen gewöhnlich vorstellt. Denn die kleine Prinzessin hielt nichts von hübschen Kleidchen mit Rüschen hier und Perlen da. Sie wollte auch das glänzende goldene Krönchen nicht aufsetzten, das ihre Mutter ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Und so lag es die ganze Zeit unbenutzt in ihrem Zimmer. Die kleine Prinzessin spielte viel lieber im großen Schlossgarten mit ihren Brüdern Verstecken, baute sich ein Baumhaus in der großen Eiche und verbrachte Stunden damit, am Ufer des Schlossteiches zu sitzen und den Fischen mit ihrer Gitarre die schönsten Lieder vorzuspielen. Wenn die Prinzessin den ersten Ton anstimmte und mit ihrer glockenhellen Stimme zu singen begann, war weit und breit kein Laut mehr zu hören. Nur die liebliche Stimme der kleinen Prinzessin erfüllte den Garten und verzauberte alle Tiere ringsherum. Die Blumen wiegten sich im Rhythmus der Musik und der Mond strahlte so hell, dass der Garten einer riesigen Bühne glich. Die kleine Prinzessin war sehr glücklich in ihrem Zuhause.
Eines Tages, der Geburtstag der kleinen Prinzessin rückte immer näher, saß sie wieder einmal an ihrem See und spielte ein wunderschönes Lied. Und weil sie so vertieft war, merkte die kleine Prinzessin nicht, dass der König leise näher kam. Er wollte die Prinzessin nicht stören und lauschte gebannt der zauberhaften Musik. Als der letzte Ton verklungen war klatschte er begeistert. Die Prinzessin drehte sich erstaunt um und lächelte, als sie ihren Vater erblickte. "Ich liebe es, deiner Musik zu lauschen", sagte der König. "Diese Begabung ist ein Geschenk des Himmels und sie wird dich noch weit bringen. Wenn ich dir zusehe, mit wie viel Hingabe und Gefühl du singst, erfüllt das mein Herz mit großer Freude. Ich bin sehr stolz auf dich!" Die kleine Prinzessin hatte Tränen in den Augen, so gerührt war sie von den Worten ihres Vaters. "Ich hab dich lieb", sagte sie und drückte ihn ganz fest. "Ich möchte dir noch etwas sagen" der König setzte sich auf einen Stein am Ufer des Sees. " Zu deinem Geburtstag haben deine Mutter und ich beschlossen, dir zu Ehren einen Ball zu geben. Dafür haben wir alle Prinzessinnen und Prinzen aus der Umgebung eingeladen. Morgen Abend wird es ein Fest geben, von dem die Menschen noch in zehn Jahren erzählen werden." Dann erhob sich der König und ging langsam zum Schloss zurück. Die kleine Prinzessin saß auf ihrem Lieblingsstein und dachte an das bevorstehende Geburtstagsfest. Sie freute sich sehr, ihre Freunde und Freundinnen wieder einmal zu treffen, denn es kam selten vor, dass sie alle zusammen waren.
Am nächsten Tag war im gesamten Schloss ein emsiger Betrieb. Es summte wie in einem riesigen Bienenstock und überall wurde geschmückt, Essen herbeigetragen und das ganze Schloss auf Hochglanz poliert. Denn es sollte ja ein Geburtstagsball werden, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Die Prinzessin war den ganzen Tag damit beschäftigt, Geschenke auszupacken und Briefe mit den besten Geburtstagswünschen von all ihren Freunden und Bekannten zu lesen. Als es Abend wurde und die Sonne langsam hinter den Hügeln verschwand und der Mond mit seinen silbernen Strahlen das Schloss in geheimnisvolles Licht tauchte, fuhren schon die ersten Kutschen vor das Schlosstor. Heraus stiegen elegant gekleidete Prinzessinnen und Prinzen in edlen Gewändern. Da die kleine Prinzessin keinen Wert auf prunkvolle und aufwendige Ballkleider legte, hatte sie ein schlichtes Kleid gewählt, das aber gerade durch seine Schlichtheit ihre Schönheit noch hervorhob. Langsam füllte sich der Ballsaal mit zahlreichen Gästen und der König hielt eine kurze Ansprache. Alle Gäste wünschten der kleinen Prinzessin von Herzen alles Gute zu ihrem Geburtstag und dass alle ihre Wünsche in Erfüllung gehen mögen. Dann begann das Hoforchester zum Tanz aufzuspielen und alle vergnügten sich auf der großen Tanzfläche. Die Prinzessin schwebte bis tief in die Nacht hinein über das Parkett und freute sich an dem wunderschönen Fest. Nach ungefähr zehn Tänzen aber musste sie eine kleine Pause einlegen und sich ein wenig ausruhen. Sie setzte sich in ihren Sessel und beobachtete das bunte Treiben auf der Tanzfläche. Sie sah ihren Freunden und Freundinnen zu, wie sie durch die Luft wirbelten. Die Röcke flogen bei jeder Drehung in die Höhe und die Prinzessinnen wurden von ihren Prinzen zu den Klängen der Musik durch den Saal getragen. Es war ein wunderschönes Bild, zu sehen wie gut sie alle zusammenpassten. Jede Prinzessin hatte den geeigneten Tanzpartner und schwebte mit ihm über den Boden. Die kleine Prinzessin wurde auf einmal ganz schwermütig. Wie schön wäre es, wenn
sie auch jemanden hätte, mit dem sie so wunderbar zusammenpasste. Aber die Prinzen hier im Lande wollten lieber niedliche und süße Prinzessinnen mit golden Löckchen und winzigen Krönchen heiraten. Die kleine Prinzessin war den ganzen Abend über in einer seltsamen Stimmung und konnte sich auch an der Geburtstagsüberraschung nicht mehr richtig erfreuen.
Bis tief in die Nacht hinein ging das große Fest und als die Sonne gerade ihre ersten Strahlen über das Land schickte und die Vögel anfingen zu zwitschern, verließ auch der letzte Gast fröhlich das Schloss. Müde sank die kleine Prinzessin in die weichen Kissen ihres Himmelbettes und sofort fielen ihr die Augen zu. Sie träumte von niedlichen Prinzessinnen, die stundenlang vor dem Spiegel saßen und ihre Locken kämmten, die märchenhafte Kleider mit Perlen und Glitzer bestickt trugen und die mit elfengleichen Bewegungen durch das Schloss schwebten. Sie träumte von wunderschönen Prinzen, die diese Prinzessinnen mit offenen Armen empfingen, sie auf ihr Pferd hoben und mit ihnen aus dem Tor hinaus der Sonne entgegen ritten.
Als die kleine Prinzessin erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel und die Vögel sangen in den Bäumen vor ihrem Fenster. Strahlend blau erstreckte sich der Himmel vor ihren Augen und der liebliche Duft der Blumen stieg zu ihr empor. Aber die Prinzessin konnte sich nicht daran erfreuen. Traurig schlenderte sie durch den Garten und setzte sich an das Ufer des großen Sees. Sie hatte ihre Gitarre dabei und schlug den ersten Ton eines traurigen Liedes an. Aber sie konnte nicht singen. Kein Ton kam über ihre Lippen, denn ihr Herz war zu schwer. Auch am nächsten Tag schwebte kein bezauberndes Lied durch den großen Garten. Es blieb alles still. Die Tiere wunderten sich über die ungewohnte Ruhe und vermissten die zauberhafte Stimme der Prinzessin so sehr, dass auch sie ganz traurig wurden. Der König und die Königin wussten nicht mehr, was sie mit ihrer Tochter machen sollten. Niemand wusste, warum die Prinzessin plötzlich von dieser Traurigkeit überfallen war und wie man sie wieder aufmuntern könnte. Ratlos wanderte der König viele Tage und Nächte in seinem Zimmer auf und ab und überlegte, wie er der Prinzessin helfen könnte. Durch sein Fenster sah er die Prinzessin am Ufer des Sees sitzen und weinen.
Tränen kullerten ihre Bäckchen hinunter und tropften auf das Wasser. "Ich werde niemals einen Prinzen finden. Ich bin kein so niedliches und süßes Püppchen, wie die anderen Prinzessinnen", schluchzte die kleine Prinzessin. "Das musst du auch nicht sein", sagte da plötzlich eine leise Stimme neben ihr. Erstaunt sah die Prinzessin zur Seite und erblickte eine kleine zarte Elfe, die in einem schimmernden Kleid über dem Wasser schwebte. Ihre gläsernen Flügel funkelten im Sonnenlicht und ihre kleinen Füße berührten kaum das Wasser. Die Prinzessin war so überrascht, dass sie fast die Gitarre fallen ließ. "Du musst nicht so sein, wie die anderen. Du bist du! Es zählt einzig und allein, was du in deinem Herzen bist. Und ich weiß, dass du ein wunderbarer Mensch bist. Du bist einzigartig auf der Welt und niemand ist so wie du. Jeder Mensch ist auf seine Weise einzigartig, denn es gibt ihn kein zweites Mal. Und auch wenn du etwas an dir hast, das dir nicht gefällt, bist du nicht weniger liebenswert. Hast du nicht gesehen, dass die anderen auch nicht perfekt sind? Jeder hat etwas, mit dem er nicht zufrieden ist. Und trotzdem gefällt gerade das vielleicht einem anderen. Er mag dieses Besondere und Einzigartige an dir, weil es niemand sonst hat. Du wirst jemanden finden, der dich so mag, wie du bist. Er mag dich, weil du einfach du bist! Denk immer daran! Irgendwann wird auch dein Prinz kommen und dich einfach auf sein Schloss entführen." Die kleine Elfe flog ganz dicht an das Ohr der kleinen Prinzessin und flüsterte ihr etwas ins Ohr "Nur wenn du mit dem Herzen fühlst kannst du es tief im Verborgenen finden. Es ist wie ein Traum. Verzaubert deine Sinne und berührt dich tief im Innern deiner Seele." Dann breitete sie ihre kleinen Flügel aus und schwebte über das glitzernde Wasser des Sees davon.
Sprachlos saß die kleine Prinzessin auf ihrem Stein und dachte über die Worte der kleinen Elfe nach. Und plötzlich fühlte sie tief in ihrem Herzen etwas, das schon seit langem nicht mehr da gewesen war. Sie war auf einmal wieder glücklich. Die Freude erfasste ihren ganzen Körper und sie nahm ihre Gitarre zur Hand und spielte eine wunderschöne Melodie. Ihre Stimme erfüllte den großen Garten wieder mit den schönsten Klängen und die Tiere kamen aus ihren Höhlen und Nestern, um dem zauberhaften Gesang zu lauschen.
Auch der König, der immer noch in seinem Zimmer grübelnd auf und ab wanderte, vernahm die vertrauten Klänge und lehnte sich glücklich aus dem Fenster, um seiner Tochter zuzuhören. Wie froh war er, dass sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.
Bis tief in die Nacht hinein saß die Prinzessin am Ufer des Sees und spielte den Tieren ihr Lied. Der Mond am Himmel lächelte zu ihr hinab und die Sterne funkelten um die Wette.
Nicht weit entfernt ritt zu dieser Stunde auch ein Prinz am Schlossgarten vorbei und vernahm den lieblichen Gesang, der das ganze Land erfüllte. Verzaubert von der wunderschönen Melodie näherte er sich dem See und sah die Prinzessin am Ufer sitzen. Ihre Stimme drang durch ihn hindurch und berührte ihn tief in seinem Herzen. Fasziniert lauschte er den Klängen und näherte sich immer weiter dem Platz, an dem die kleine Prinzessin saß. Er konnte seine Augen nicht von der Prinzessin abwenden und bemerkte somit auch nicht den kleinen Ast, der unter seinen Füßen mit einem lauten Knacken zerbrach. Erschrocken blieb er wie angewurzelt stehen. Die Prinzessin verstummte augenblicklich und drehte sich um. Da erblickte sie den Prinzen. Als sich ihre Augen trafen, durchfuhr ein magisches Funkeln die dunkle Nacht und erhellte sie für den Bruchteil einer Sekunde. Langsam gingen beide aufeinander zu und als sich ihre Hände sanft berührten war es, als legte sich ein Zauber über ihre Herzen. Der Prinz nahm die Prinzessin bei der Hand und führte sie zu seinem Pferd. Dann hob er sie vorsichtig auf den Rücken des Tieres und ritt mit ihr der aufgehenden Sonne entgegen.



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Eingereicht am 11. April 2004.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.



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