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Schwester Sonne & Bruder Mond

Von Manuela Ridder


Als die Erde und der Himmel noch selbst sehr jung waren. Als noch kein anderes Lebewesen hier zu verzeichnen war. Verliebten sich der Himmel und die Erde ineinander.
Die Erde liebte das strahlende Blau des Himmels und die ruhig dahin ziehenden Wolken, die sie immer wieder zum Träumen verleitete. Der Himmel genoss das Bild der Wiesen, Wälder und Berge der Erde und war fasziniert von den großen Ozeanen mit den hohen Wellen. Er liebte die schneebedeckten Berge und die Flüsse die sich von ihnen aus durch die grünen Wiesen und Täler zum Meer hin zogen.
Die Schwester des Himmels, die Nacht, mit ihren Sternenkindern und Wolken des Himmels, freute sich über das gut zusammenpassende Paar und lies einige ihrer Kinder, wenn sie alt genug waren, auf die Erde springen um dort als neue Lebewesen zu entstehen. Einige wurden zu Vögeln, andere zu Tieren. Einige stürzten ins Meer und wurden zu Fischen oder Walen. So füllte sich die Erde und der Himmel mehr und mehr mit Leben. Die Liebe zwischen Himmel und Erde festigte sich, je mehr Leben sich auf ihnen tummelte.
Aus dieser Liebe entstanden nach Gezeiten zwei Kinder, die Sonne und der Mond. Beide so verschieden, liebten einander doch so innig wie es ihre Eltern taten. Sie spielten in den Auen und Wäldern mit den Tieren der Erde oder flogen mit den Vögeln und den Wolken am Himmel und manches mal stoben sie durch die Schatten der Nacht und jagten die Sternenkinder durch die Wolken. Abends legten sie sich müde vom Toben in den Bergen zum Schlafen nieder.
Dann geschah es, dass zwei Sternenkinder gleichzeitig zur Erde sprangen. Es entstanden Mensch und Engel. Nach einiger Zeit waren weite Teile der Erde mit Gruppen von Menschen besiedelt und auch die Zahl der Engel war größer geworden. Die Menschen erfreuten sich an den warmen Sonnenstrahlen und waren belustigt über die Spielchen des Mondes, wenn er zu- und abnahm. Die Engel jedoch mochten die Sonne nicht und versteckten sich in den kühlen Wolken. Zu oft hatten sie sich ihre empfindlichen Flügel schon an den Strahlen der Sonne verbrannt.
So kamen sie nur ganz selten bei Nacht heraus und dann auch nur für sehr kurze Zeit. So gerieten sie mehr und mehr in Vergessenheit, bis nicht einmal Himmel und Erde noch von Ihnen wussten.
Die Nacht, jedoch fühlte sich einsamer denn je. Wenn sie kam, schien das Leben zum Stillstand zu kommen sein. Ihre eigenen Kinder, die einst Sterne waren, legten sich schlafen und auch die Blumen schlossen ihre farbenprächtigen Kelche. Und sie neidete Himmel und Erde das Glück über das Leben, das sie hervorriefen. Eher selten kamen Schwester Sonne und Bruder Mond die Nacht besuchen, blieben nur kurz, da die strahlende Sonne das Glitzern der Sternenkinder nicht mochte und der Mantel der Nacht zu kalt und schwarz war. Sie liebte die vollen Farben der Wälder, Wiesen und Meere und das tummelnde Leben das in ihnen wohnte und mit ihrem Bruder Mond herum zu toben.
Himmel und Erde merkten den Neid der Nacht und verboten ihren Kindern aus Angst, es könnte etwas Schlimmes passieren, Beiden, je wieder die Nacht zu besuchen. Die Nacht fühlte sich verraten und verbot ihren Sternenkindern fortan auf die Erde zu fallen und so gerieten Erde, Himmel und Nacht mehr und mehr in Streit. Auch die Sternenkinder und Schwester Sonne mischten mit. Die Menschen, Tiere, Fische und Vögel verkrochen sich tief in ihren Behausungen und ängstigten sich zusehends. Lange ging der Streit hin und her und wurde heftiger und erbitterter. Einzig der Mond, traurig über die Unstimmigkeiten wegen ihm und seiner Schwester, setzte sich auf eine Bergspitze und hörte nur zu und dachte nach.
Nach Zeiten langen Streitens, herrschte plötzlich Stille. Himmel, Sterne, Sonne, Nacht und Erde redeten nicht mehr miteinander und untereinander. Aber auch die Menschen, Tiere und Fische blieben in ihren Verstecken, aus Angst, all das könne von vorne losgehen, wenn sie wieder hervorkamen. So vergingen Jahre der Stille.
Eines Nachts jedoch, in einem unbeobachteten Augenblick, kletterte der älteste Engel aus seiner Wolke, breitete seine mächtigen Flügel aus und stieg empor zum hellsten der Sternenkinder. Leise flüsterte er ihm etwas ins Ohr und das Sternenkind lies sich ins feuchte Gras der Erde fallen. An der Stelle, wo sein Licht erloschen war, vernahm man ein Geräusch, das bis dahin noch nie vernommen wurde. Ein leises Zirpen, die erste Grille war geboren.
Als sich der Mond wieder auf seine Bergspitze setzte und darüber grübelte, wie er es wieder schaffen könne, dass alles so wurde wie früher, ruhig und friedlich, voller Harmonie und Leben, merkte er nicht einmal wie es Abend wurde und die Nacht kam. Er vernahm plötzlich das leise zirpende Geräusch. Neugierig hielt er Ausschau, welches Tier den wohl dieses Geräusch von sich geben könne. Doch er konnte in der Dunkelheit der Nacht nichts erkennen. Als er aufblickte, sah er den tiefschwarzen Mantel der Nacht, mit ihren Millionen von Sternenkindern und er begann, empor zu steigen, um mit ihnen zu reden. Zum ersten Mal in seinem Leben, war er ohne das helle Licht seiner Schwester hier. Doch auch sein silbernes Licht reichte, um das Land etwas zu erhellen und einen leichten kaum wahrnehmbaren Schatten zu werfen. Er war fast bei der Nacht, als er aus den Wolken etwas kommen sah. Überall kletterten sie heraus und reckten ihre Arme, Beine und Flügel vom langen Schlaf.
Die Engel waren erwacht. Ein solches Licht hatten sie noch nie gesehen. Und so erhoben sie sich in die Lüfte und umringten neugierig den Mond. Und auch der Mond blickte ihnen interessiert entgegen. Solche Geschöpfe hatte er noch nie gesehen. Er war so fasziniert, dass er stehen blieb und ihnen eine Weile sein Licht spendete.
Die Engel flogen über die Auen und Wälder und erfreuten sich, endlich gefahrlos die Natur genießen zu können. Angelockt von dem silbernen Licht, kamen auch die Tiere und Fische wieder hervor. Auch einige Vögel erhoben sich aus den Nestern, um mit den Geflügelten ihre Bahnen zu ziehen. Und langsam, eher zaghaft, lugten die Menschen aus ihren Hütten. Erstaunt bewunderten sie, die neue Schönheit der Nacht und der Engel, die anmutig durch die Wolken schwebten.
Und der Mond beschloss, bei der Nacht zu bleiben und den Engeln, die er so liebte, Licht zu spenden. Und auch die Sterne freuten sich über den neuen Begleiter und begannen zum ersten Mal im Leben zu funkeln.
Aber hin und wieder, besucht der Mond auch heute noch Schwester Sonne, Vater Himmel und Mutter Erde.



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Eingereicht am 03. April 2004.
Herzlichen Dank an die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin.



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