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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Liebe ist alles

© Rosita Hoppe


Ich erinnere mich noch genau an den regnerischen Apriltag vor etwa zwei Monaten, als das Schicksal zuschlug und mein Leben in eine neue, komplizierte Bahn lenkte.
Das Telefon klingelte, als ich mir gerade einen Cappuccino aufbrühte. Ich hörte das aufgeregte Geplapper meiner besten Freundin Isabell und verstand erst einmal nur ´Bahnhof`.
"Langsam", ermahnte ich sie, "ich habe überhaupt nicht kapiert was du mir erzählen willst."
"Ich habe eine Reise nach Lanzarote gewonnen!", schrie Isabell in den Hörer.
"Was? Wirklich? Das ist ja Wahnsinn."
"In 10 Tagen geht es los. Die Reise ist für zwei Personen, Vier-Sterne-Hotel, eine Woche, all inclusive und Flug ab Düsseldorf."
"Sag mal, Isa, bei wem hast du denn gewonnen?"
"Ich habe ein Preisausschreiben in einer Zeitschrift mitgemacht. Du, Anna, ich bin so aufgeregt. Ich habe noch nie etwas gewonnen. Ich muss gleich Thomas anrufen. Hoffentlich bekommt er so kurzfristig Urlaub."
"Du bist zu beneiden", meinte ich und kuschelte mich mit meinem Cappuccino in die Sofaecke. "Sonne, Sand und Meer zu dieser Jahreszeit. Herrlich!"
Isabell packte schon in Gedanken ihren Koffer und zählte mir jedes einzelne Stück ihrer Sommergarderobe auf.
"Was hältst du davon, wenn du jetzt deinen Mann anrufst und ihm alles erzählst?"
"Das wollte ich ja schon. Aber er ist im Moment nicht zu erreichen. Der flippt total aus. Er wollte schon immer mal auf die Kanaren."
"Lanzarote wäre auch mein Traum, aber Christian will immer nur in die Berge", stöhnte ich.
Ja, ich sehnte mich schon seit Langem nach einem Urlaub im Süden. Inzwischen hatte ich genug von den Bergen. Seit über zehn Jahren fuhr ich mit meinem Mann Christian zum Wandern nach Bayern. Am Anfang hatte es mir dort gefallen, aber muss es jedes Jahr das Gleiche sein?
Es dauerte noch eine Weile bis Isabell endlich auflegte um ihren Mann anzurufen.
Abends, als Christian nach Hause kam, erzählte ich ihm von Isabells Gewinn und auch davon, dass ich gern einmal in den Süden fliegen würde.
"Du weißt doch, dass mich keiner in ein Flugzeug kriegt", erklärte mir Christian.
Ich wusste ja, dass er Flugangst hatte, aber konnte er mir nicht einmal den Gefallen tun? Immer war ich es, die zurückstecken musste.
Nicht lange nach meinem Gespräch mit Christian rief Isabell an. Sie weinte am Telefon.
"Thomas bekommt keinen Urlaub", schluchzte sie. "Er muss zu einem Seminar. So einen Mist!"
Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Das wäre die Gelegenheit. Doch ich sagte nichts. Es war Isabells Entscheidung mit wem sie fliegen wollte.
"Willst du mitkommen?", überlegte sie. "Ja, komm du mit!" Isabell war von ihrer Idee begeistert. "Wir beide. Das wäre doch toll!"
"Ich weiß nicht..." Was Christian wohl dazu sagen würde?
"Na los, gib dir einen Ruck. Sprich mit Christian und dann pack deinen Koffer!"
Nun musste ich lachen. Das war typisch Isabell.
Ich war überrascht, als Christian mir sagte, dass er einverstanden wäre.
"Du wolltest doch schon immer mal in den Süden. Und meinetwegen hast du immer darauf verzichten müssen. Macht euch ein paar schöne Tage und erholt euch."
Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Auch nach über zehn Jahren Ehe war er manchmal für eine Überraschung gut.
"Was werden Susi und Marvin dazu sagen? Du musst doch arbeiten. Nein, das geht nicht, ich kann nicht fahren."
"Du kannst doch morgen meine Mutter anrufen, die hat sowieso immer Langeweile. Sie kommt bestimmt und passt gern auf die Kinder auf."
"Meinst du wirklich?" Ich war unsicher. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, meine siebenjährigen Zwillinge für eine Woche allein zu lassen.
Mein Mann wischte alle Einwände fort und überredete mich geradezu die Reise anzunehmen.
"Wenn du erholt und guter Laune zurückkommst, haben wir doch alle etwas davon", meinte er und küsste mich auf die Stirn. "Es wird dir gut tun. Du wirst sehen."
Was war mit Christian los? So kannte ich ihn gar nicht. Hatte er bemerkt, wie unzufrieden ich in der letzten Zeit war?
Zum ersten Mal freute ich mich, dass es mir noch nicht gelungen war einen Halbtagsjob zu bekommen. Dadurch hatte ich kein Problem mit der Urlaubsplanung.
Als ich am nächsten Tag mit meiner Schwiegermutter gesprochen hatte und sie mir versicherte, dass sie sich sehr für mich freuen und gern die Kinder versorgen würde, kam zu ersten Mal in mir ein Gefühl der Freude und Abenteuerlust zum Vorschein. Ich durchforstete meinen Kleiderschrank und entschied mich, mir noch einen neuen Badeanzug zu kaufen.
Die Zeit bis zum Abflugtag verging schnell. Es tat ein bisschen weh, als ich mich von Susi und Marvin verabschiedete. Bisher war ich noch nie allein weggefahren. Es war ein komisches Gefühl. Christian brachte Isabell und mich zum Flughafen. Wir wohnen am Stadtrand von Düsseldorf, dadurch war der Weg zum Flughafen nicht weit.
"Ich wünsche euch viel Spaß und lasst die Spanier in Ruhe!", rief er uns lachend hinterher, als wir uns durch die Kontrolle schoben.
"Mal sehen, was da so rum läuft...", kicherte Isabell.
"Du willst doch wohl nicht etwa...?" Ich war entsetzt.
"Natürlich nicht im Ernst, aber ein bisschen flirten möchte ich schon...", überlegte Isabell.
Wenn dass man gut geht, dachte ich, bevor wir unsere Plätze im Flugzeug einnahmen.
Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel und schwülwarme Luft schlug uns entgegen, als wir stolz, wie zwei Prinzessinnen die Gangway hinunter schritten und uns mit allen anderen Fluggästen in den Flughafenbus drängelten.
Es dauerte ziemlich lange, bis wir endlich durch die Passkontrolle kamen und unser Gepäck in Empfang nehmen konnten. Hinter der Zollkontrolle wartete die Reiseleitung und wies uns den richtigen Transferbus zum Hotel zu.
Wir setzten uns ganz nach hinten in den Bus. Ich sah mich um. Der Bus war nur zur Hälfte besetzt. Einige ältere Ehepaare saßen gleich vorn auf den ersten Plätzen, dann waren da noch einige Familien mit kleinen Kindern, ein junges sehr verliebtes Pärchen und schräg vor mir saß noch ein allein reisender Mann, der die ganze Zeit mit seinem Handy spielte.
´Er sieht irgendwie traurig aus`, schoss es mir durch den Kopf.
Er passte so gar nicht zwischen die fröhlich plappernde Urlaubsgesellschaft.
Dann zog die Reiseleitung mit ihrer Durchsage die Aufmerksamkeit auf sich und ich lehnte mich zufrieden zurück. Ich konnte es noch gar nicht fassen, dass ich wirklich auf Lanzarote war.
"Danke", flüsterte ich Isabell zu.
"Wofür?"
"Na, weil du mich mitgenommen hast."
Isabell nahm mich spontan in den Arm. "Außer Thomas gibt es für mich nur einen Menschen mit dem ich meinen Urlaub verbringen möchte und das bist du! Wir werden jede Sekunde genießen."
"Ja...", seufzte ich und dachte an meine Familie. Dann gab ich mir einen Ruck und versuchte zu lächeln.
In diesem Moment ahnte ich noch nicht, wie sehr ich die kommende Zeit genießen würde.
Isabell riss mich mit ihren Plänen für die nächsten Tage aus meinem plötzlichen Heimweh und die trüben Gedanken waren bald verschwunden.
Ich versuchte mich auf die Erklärungen der Reiseleitung zu konzentrieren, die gerade den typischen Baustil der Insel erklärte. Fast alle Gebäude waren weiß mit grünen Fensterläden und grünen Türen und es gab keine Hochhäuser auf der Insel. Diesen Baustil hatte Cesare Manrique, der lange Zeit auf der Insel gelebt hatte, eingeführt. Es sah alles so herrlich gepflegt und gemütlich aus. Schon am Flughafen war mir dieser besondere Stil aufgefallen. Noch nie hatte ich ein öffentliches Gebäude gesehen, das so einladend und anheimelnd wirkte.
Wir kamen in den Urlaubsort Puerto del Carmen, wo auch unser Hotel lag. Es war ein turbulenter Ort, das sah man auf dem ersten Blick. Unser Hotel lag etwas außerhalb. Es war eine Anlage, die hauptsächlich aus Appartements bestand. Aber es gab auch noch ein Haupthaus, in dem die Doppel- und Einzelzimmer untergebracht waren.
Isabell und ich bekamen ein Zimmer im Haupthaus mit Blick auf den Garten, in dem üppige Bouganvilla- und Hibiscussträucher wuchsen und auf den Swimmingpool, der eher an eine riesige Wasserlandschaft erinnerte.
"Wow..., ich weiß gar nicht, was ich sagen soll...", flüsterte ich erfurchtsvoll.
"Komm, lass uns schnell auspacken, dann suchen wir uns eine Liege am Pool und genießen unser erstes Sonnenbad", schlug Isabell vor.
Wir zogen uns um und cremten uns gründlich mit Sonnencreme ein, bevor wir uns auf den Weg zum Pool machten. Wir hatten Glück und fanden noch zwei freie Liegen nebeneinander, in der Nähe der Poolbar. Wir breiteten unsere Handtücher aus und machten es uns gemütlich.
Ich schloss die Augen und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut.
"Möchtest du auch einen Drink?"
Ich schrak auf, fast wäre ich eingeschlafen. Das hätte böse ausgehen können. Sicherlich hätte ich mir dann einen Sonnenbrand geholt.
"Gute Idee, jetzt wo du es erwähnst, merke ich, dass ich wirklich durstig bin."
Während wir uns an der Poolbar niederließen, sah ich mich um. In unserer Nähe nahm gerade das junge Pärchen Platz, das mit uns gemeinsam angekommen war. Dann war noch der alleinreisende, traurig aussehende Mann an unserem Hotel ausgestiegen. Die anderen Urlauber waren weitergefahren.
Wir blieben den ganzen Nachmittag am Pool, schwammen und ließen uns von der Sonne verwöhnen. Abends, kurz vor dem Abendessen, fand die offizielle Begrüßung der Reiseleitung statt. Die Reiseleiterin teilte uns mit, welche Ausflüge wir buchen konnten und Isabell und ich entschieden uns spontan, am nächsten Tag eine Inselrundfahrt zu machen.
Dann war das Buffet eröffnet und wir stürzten uns hungrig auf die leckeren Gerichte.
Anschließend gingen wir an die Bar und bestellten uns einen Cocktail.
"Bacardi-Cola, bitte."
"Si, Senhor."
Ich drehte mich um und erkannte den Mann aus dem Bus wieder, der gerade seinen Drink bestellte. Isabell zog mich auf eine Sitzecke in der Nähe einer kleinen Tanzfläche. Von dort aus hatte ich die Bar direkt im Blickfeld und betrachtete intensiv ´unseren` Mitreisenden. Er saß auf einem Barhocker und nippte gedankenverloren an seinem Glas. Eigentlich sah er ganz sympathisch aus. Er war mindestens einen Meter achtzig groß, schlank, schon etwas braun gebrannt, hatte dunkelblonde, sehr lockige Haare und ein schmales, ebenmäßiges Gesicht. Ich überlegte, warum er wohl so traurig war.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass er mich ansah. Ich glaubte, für den Bruchteil einer Sekunde ein Lächeln in seinem Gesicht gesehen zu haben, war mir später aber nicht mehr sicher, ob ich es mir nicht nur eingebildet hatte.
Ich spürte, dass ich rot wurde wie ein Schulmädchen und schaute schnell weg.
Isabell hatte zum Glück nichts mitbekommen, sie unterhielt sich gerade mit einem älteren Ehepaar, dass mit in unserer Sitzecke saß. Ich versuchte mich an dem Gespräch zu beteiligen, doch aus den Augenwinkeln sah ich immer wieder zur Bar. Doch der Unbekannte war plötzlich verschwunden und tauchte nicht wieder auf. Irgendwie war ich enttäuscht.
Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück ging die Inselrundfahrt los. Der Bus war schon fast voll besetzt, als wir aus dem Hotel kamen. Wir waren die Letzten, die einstiegen. Wir fuhren durch das Weinanbaugebiet und es war mir ein Rätsel, wie auf diesem kargen, schwarzen Boden etwas wachsen konnte. Die Reiseleiterin erklärte jedoch, dass der Lavaboden sehr fruchtbar sei. Es ging weiter durch die Vulkanberge der Insel, die je nach Sonneneinstrahlung in den verschiedensten Braun- und Rottönen leuchteten. Unsere Reiseleiterin machte uns auf einige Felsformationen aufmerksam, in denen man mit etwas Fantasie versteinerte Tiere erkennen konnte.
Es war unbeschreiblich schön. Diese Landschaft, die auf den ersten Blick an eine Mondlandschaft erinnerte, übte einen ungeheueren Reiz auf mich aus. Anschließend kamen wir an eine Stelle, wo demonstriert wurde, wie nah das Feuer der Insel unter der Erdoberfläche brodelte. Hier stiegen wir zum ersten Mal aus. Man spürte durch die Schuhe, wie warm die Erde war.
Ein Spanier hielt eine lange Heugabel mit einem Büschel Stroh in der Hand, die er in ein Loch in den Erdboden steckte. Als er die Heugabel wieder herauszog, brannte das Stroh. Es war fast unheimlich. Wir gingen ein Stück weiter. Auch dort waren tiefe Löcher in der Erdoberfläche.
Isabell flüsterte mir gerade zu: "Mir wird hier richtig mulmig. Was ist, wenn der Vulkan ausbricht?", als plötzlich mit einem lauten Zischen eine riesige Wasserfontäne aus einem der Löcher schoss. Ich erschrak so sehr, dass ich unwillkürlich ein Stück zurücksprang.
"Aua!"
"Entschuldigung!" Ich sah mich um und hatte das schmerzverzerrte Gesicht des ´traurigen` Fremden vor mir. Ich war ihm mit meinem spitzen Absatz genau auf den Fuß gesprungen.
"Es... es tut mir wirklich Leid....".
"Sind Sie immer so schreckhaft?"
"Ja, meistens", gestand ich.
"Das können Sie aber nur mit einem Drink heute Abend wieder gut machen", schlug er leise vor.
Mir standen sämtliche Nackenhaare zu Berge, während er mir ins Ohr flüsterte und seine Hände dabei für einen kurzen Augenblick auf meine nackten Oberarme legte. Mein Herz klopfte wild. Schnell trat ich einen Schritt vor, um seiner Nähe zu entkommen.
Wo war er so plötzlich hergekommen? Ich hatte ihn im Bus gar nicht gesehen. Den Rest unseres Ausfluges war ich sehr unkonzentriert und musste ständig an meine Verabredung für den Abend denken. Isabell konnte nicht verstehen, weshalb ich mir darüber den Kopf zerbrach.
"Sei doch froh, dass du eine Bekanntschaft gemacht hast", meinte sie. Sie hatte allerdings keine Ahnung, wie sehr mich dieser Mann verwirrte.
Als wir am späten Abend in die Bar gingen, war von dem Fremden nichts zu sehen. Ich war gleichzeitig enttäuscht und erleichtert.
Wir bestellten uns beide einen ´Surprise`. Ich brauchte unbedingt etwas, das meine Nerven beruhigte und nahm einen großen Schluck. Der Alkohol brannte in meiner Kehle. Der Drink hatte so bunt ausgesehen, dass ich nicht erwartet hatte, dass er so hochprozentig war.
Wir saßen etwa eine Stunde an der Bar, doch da hier nicht viel los war, entschieden wir uns in der hoteleigenen Disco vorbeizuschauen. Das hätten wir schon viel früher tun sollen. Hier war viel mehr Stimmung und es wurde tolle Musik gespielt. Isabell zog mich gleich mit auf die Tanzfläche und wir konnten herrlich abrocken. Sie tanzte bald mit einem gut aussehenden Spanier und ich tanzte allein und gedankenverloren vor mich hin.
Plötzlich spürte ich, dass jemand dicht hinter mir tanzte und sich meinen Bewegungen anpasste. Ich sah mich nicht um, ahnte aber, wer der Tänzer war.
Er nahm meine Hände und wir ließen uns von der Musik treiben. Es war ein aufregendes Gefühl, nicht genau zu wissen, wer da so dicht an mir tanzte.
Seine Hände, unglaublich zarte Hände, glitten an meinen Armen empor. Weiche Lippen an meinem Ohr, an meinem Hals. Ich schloss die Augen und gab mich ganz diesem Augenblick hin. Seine Berührungen schossen wie Blitze durch meinen Körper. Ich hatte so etwas noch nie erlebt und konnte mich dem nicht entziehen.
Erschrocken öffnete ich die Augen. Was tat ich hier eigentlich? Ich sah, dass Isabell mir von weitem zuzwinkerte. Nun drehte ich mich endlich zu meinem Tänzer um. Ich musste dem unbedingt ein Ende bereiten. Jetzt sah ich, dass er es wirklich war. Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Er gab mir einen leichten Kuss auf den Mund und lächelte mich an. Ein unwiderstehliches Lächeln.
"Wie wäre es jetzt mit unserem Drink?" Er nahm wie selbstverständlich meine Hand und zog mich an die Bar. Dort bestellte er für uns beide Campari Orange. Ihm war also aufgefallen, was ich am Vorabend getrunken hatte. Wir prosteten uns zu.
"Ich heiße Bernd", stellte er sich vor.
"Ich bin Anna und das da hinten ist meine Freundin Isabell", erklärte ich.
Er legte ganz lässig seinen Arm um mich und seine Hand auf meine Taille. Ich versuchte das Gefühl zu ignorieren, dass sich in mir breit machte, als er mit seinem Daumen unter mein kurzes T-Shirt glitt und meine nackte Haut ganz sanft und zärtlich streichelte.
Um mich abzulenken, begann ich ein Gespräch über die Schönheiten der Insel. Ich hätte ja nur seine Hand wegschieben brauchen, um mich seiner Nähe zu entziehen, doch ich schaffte es nicht. War es der Alkohol, der zu wirken begann, oder hatte ich zu viel Sonne abbekommen?
Seine Lippen kamen näher und hauchten viele kleine Küsse über mein Gesicht. Dann glitten sie weiter über meinen Hals. Dort war ich sehr empfindlich und das Kribbeln in meinem Körper nahm zu. Er zog mich nah an sich, bis mein Gesicht an seiner Brust lag. Der herrliche Duft seines Körpers und seines Aftershaves betäubten meine Sinne. Seine Hände vergruben sich in meinem kurzen Haar, seine Daumen streichelten meine Schläfen.
Ich sah zu ihm auf. Unsere Blicke versanken ineinander. Ich reckte mich ihm entgegen, als sein Mund sich meinem näherte. Sein Kuss schmeckte himmlisch süß und seine Zunge entfachte ein unglaubliches Feuer in mir. Niemals vorher, nicht einmal als mein Mann und ich frisch verliebt waren, hatte ich so empfunden wie in diesem Augenblick.
Plötzlich geriet ich in Panik. Was sollte Isabell von mir denken?
Mit brennenden Wangen löste ich mich von ihm und versuchte etwas Abstand zwischen uns zu gewinnen. Ich erklärte ihm, dass wir sofort damit aufhören müssten und dass ich verheiratet sei.
"Ich bin auch verheiratet", gestand er mir. Seine Augen bekamen wieder diesen traurigen Ausdruck.
"Was ist los?", wollte ich wissen.
Bernd erzählte mir, dass er sich vielleicht von seiner Frau trennen wolle, da die Ehe schon lange nicht mehr glücklich war, und dass er diese Reise gebucht hatte, um Abstand zu gewinnen und sich über seine Gefühle klar zu werden.
"Ich habe eine neunjährige Tochter. Sie hat die gleichen Locken wie ich. Sie ist so süß. Und es macht mich unendlich traurig, dass ich ihr vielleicht wehtun werde. Seit Tagen kann ich nicht mehr schlafen, weil ich nicht weiß, was ich tun soll." Er sah mich gequält an und er tat mir plötzlich Leid.
"Meine Frau ist eigentlich eine tolle Frau. Aber es klappt nicht mehr. Wir haben es schon so oft versucht. Ich habe auch nur ein Leben und ich möchte noch einmal glücklich sein."
Ich nickte nur und wusste nichts darauf zu erwidern.
Die Stimmung zwischen uns war rapide umgeschlagen und nun fühlte ich mich wie seine Therapeutin.
"Lass uns ein wenig raus gehen", bat er. "Ich brauche jetzt frische Luft."
Hand in Hand verließen wir die Disco. Ich sah mich noch einmal um, konnte aber Isabell nirgends entdecken.
Wir gingen durch die Hotelhalle in den Garten. Langsam wanderten wir um die Badelandschaft. Wir erzählten uns aus unserem Leben und ich spürte wie gut ich mich mit ihm unterhalten konnte.
Er zog mich an sich. Lange Zeit standen wir so da.
"Warum muss das Leben immer so kompliziert sein?"
"Ich weiß es nicht...". Er sah auf mich herab und küsste mich. Er nahm meine Hand und berührte jede einzelne Fingerspitze mit seinen Lippen. Dann sog er einen Finger nach dem anderen in seinen Mund und liebkoste ihn.
Sofort machte sich wieder dieses unglaubliche Gefühl, dass ich von Anfang an bei seinen Berührungen empfunden hatte, breit. Ich schloss die Augen und genoss seine Zärtlichkeiten. Seine Lippen glitten wieder über meinen empfindsamen Hals und dann tiefer bis zum Rand meines Ausschnitts.
Ich spürte seine Hände, die über meinen Rücken glitten und dann zu meinem Busen wanderten.
"Fühlt sich gut an...", flüsterte er. Er schlüpfte unter meinen BH und liebkoste meine Brüste. Ich schnappte nach Luft. Es war so unbeschreiblich schön und doch wollte ich dem ein Ende bereiten.
"Bitte... bitte lass uns aufhören..."
"Warum...?"
"...Ich kann nicht..."
Er zog mich wieder an sich. Mein Gesicht lag wieder an seiner Brust. Beruhigend strich er mir über den Rücken. Doch seine Nähe beruhigte mich überhaupt nicht. Ich musste schnellstens von ihm weg.
Ich stellte mich auf Zehenspitzen und gab ihm einen kleinen Kuss auf seine Nasenspitze.
"Gute Nacht", flüsterte ich und rannte in das Hotel zurück. Ich ging sofort auf unser Zimmer und stellte mich unter die Dusche, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Was hatte ich getan? Ich war im Begriff, meinen Ehemann zu betrügen. Und das bereits am zweiten Tag. War ich denn von allen guten Geistern verlassen?
Es dauerte lange bis ich endlich einschlief und war froh, dass Isabell noch nicht zurück war. So brauchte ich ihr keine Erklärung abgeben.
Am nächsten Morgen wollte sie natürlich wissen, weshalb ich so plötzlich verschwunden war. Ich gestand ihr, dass ich unbedingt flüchten musste, am meisten vor mir selbst.
"Du wirst doch nicht gleich mit ihm ins Bett gehen, oder...? Mach keinen Mist!"
"Nein, natürlich nicht...". Doch sicher war ich mir nicht. Schon jetzt sehnte ich mich wieder nach seinen Zärtlichkeiten.
Ich sah ihn erst abends am Buffet wieder. Für einen Augenblick sahen wir uns an und mein Herz klopfte wild.
"Sehen wir uns nachher?" Ich nickte nur, mein Hals war wie ausgetrocknet.
Als Isabell und ich später in die Disco kamen, saß er an der Bar. Wir stellten uns zu ihm und bestellten uns etwas zu trinken. Dann ging Isabell tanzen.
"Schön dich zu sehen", sagte er leise und strich mir über die Wange.
Er zog mich an sich, seine Hände vergruben sich in meinem Haar und wir sahen uns tief in die Augen. Wie selbstverständlich küssten wir uns hier vor allen Leuten. Er zog mich auf die Tanzfläche und wir passten uns dem Rhythmus der Musik an. Obwohl keine langsame Musik gespielt wurde, tanzten wir eng miteinander. Seine Hände glitten unter mein Oberteil und seine Fingerspitzen strichen am Rand meiner Hose entlang. Es war mir egal was die anderen Leute dachten. Ich wollte ihn spüren. Mein Körper sehnte sich nach seinen Berührungen.
Leise sang er das Lied mit, das gerade zu hören war. Ich war erstaunt, dass hier auf Lanzarote ein deutsches Lied gespielt wurde.
"... Liebe ist alles ... lass es Liebe sein..."
Ich bekam eine Gänsehaut. Seine leise Stimme hörte sich wunderbar an und mir war, als würde er über uns singen.
Wir gingen wieder an die Bar und ich nahm einen großen Schluck meines Campari´s.
Kam die Hitze in meinem Körper vom tanzen oder von ihm? Welch eine Frage?
Kein Ton kam über unsere Lippen, als wir an der Bar standen. Die Sprache unserer Körper hingegen, war eindeutig.
Er trank heute auch wieder Campari Orange. Er nahm einen Schluck und sah mich dabei über den Rand des Glases intensiv an. Dann küsste er mich.
Ich spürte, wie die herbe, kühle Flüssigkeit durch meine Kehle rann.
So etwas hatte ich noch nie erlebt. - Ich war verloren.-
Bernd sah mich fragend an. Ich nickte. Wir verstanden uns auch ohne Worte. Arm in Arm verließen wir die Disco und gingen in Richtung Fahrstuhl.
Wie selbstverständlich betrat ich sein Zimmer. Mein Herz klopfte wild und ich bekam weiche Knie, als er mich langsam auszog. Wir sanken aufs Bett und er erkundete mit einer unglaublichen Sinnlichkeit jeden Zentimeter meines Körpers. Unter seinen Liebkosungen schmolz ich dahin wie Schokolade in der Sonne. Wir liebten uns die ganze Nacht.
Es war schon hell als ich sein Zimmer verließ.
Nun hieß es Farbe bekennen. Ich musste Isabell alles beichten. Sie meinte, ich sei verrückt, gestand mir dann aber, dass auch sie etwas in den attraktiven Spanier verknallt war.
Die Tage verbrachte ich mit Isabell. Wenn Bernd und ich uns tagsüber trafen, unterhielten wir uns wie Freunde. Niemand hätte erkannt, was nachts zwischen uns ablief.
Wir liebten uns jede Nacht. Ihm fielen immer neue sinnliche Spielchen ein, mit denen er mich beglückte.
Tagsüber erholte ich mich, doch die Sehnsucht nach seinen Berührungen war kaum zu ertragen. Viel zu schnell kam der Tag der Abreise.
Wir flogen in der gleichen Maschine zurück. Bernd wohnt etwa fünfzig Kilometer von Düsseldorf entfernt. Wir saßen nebeneinander und hielten uns die ganze Zeit an den Händen.
"Sehen wir uns wieder?", wollte er wissen.
Ich schüttelte den Kopf.
"Warum nicht?"
"Wir haben beide unser eigenes Leben und unsere Familien..."
Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und schloss die Augen. Leise sagte er etwas, dass ich nicht genau verstehen konnte. Ich glaubte das Wort ´schade` herausgehört zu haben. Dann sang er wieder die Zeilen: "... Liebe ist alles... lass es Liebe sein..."
Das Herz tat mir weh.
Es war ein kurzer Abschied. Ich wollte nicht, dass es uns noch schwerer fiel.
Wir nahmen uns in den Arm und ich flüsterte: "Ich hoffe, du triffst die richtige Entscheidung für dein Leben und wirst glücklich."
"Mein Engel...", war alles was er sagte.
Als wir durch die Zollkontrolle kamen, sah ich meine Kinder strahlend auf mich zulaufen. Christian und Thomas kamen langsam hinterher. Susi und Marvin fielen mir gleichzeitig um den Hals und ich drückte sie fest an mich.
Als Christian mich in den Arm nahm und mir einen Begrüßungskuss gab, hoffte ich, dass Bernd es nicht sah.
Genau in diesem Augenblick ging er dicht an uns vorbei. Ich wette, er hat es absichtlich getan.
Ich sah ihm über Christians Schulter hinterher.
Er sah sich um. Sein Blick sprach Bände.
Abends im Bett wollte Christian natürlich mit mir schlafen. Er hatte mich sehr vermisst. Ich erzählte ihm etwas von vorzeitiger Periode, wahrscheinlich durch die Klimaumstellung hervorgerufen. Er war enttäuscht. Doch ich war nicht in der Lage ihn zu lieben. Zu frisch waren die Erinnerungen an die sinnlichen Liebesnächte auf Lanzarote.
Ich fühlte mich schäbig, aber ich brauchte Zeit die ganze Sache zu verarbeiten. Und ich sehnte mich nach den Zärtlichkeiten der letzten Tage.
Als ich drei Tage später unsere Tageszeitung durchblätterte, stockte mir der Atem.
Es war Samstag und wir saßen noch am Frühstückstisch. Eine große, umrandete Anzeige stach mir in die Augen.
... Liebe ist alles... Lass es Liebe sein...
Hotel Atlantic, Zimmer 513
Montag 9.00 Uhr
Das Herz klopfte mir bis zum Hals. Wie konnte er eine Anzeige in die Zeitung setzen? Ich traute mich nicht den Kopf zu heben und starrte minutenlang die Anzeige an. Hoffentlich merkte Christian nicht, dass ich so aus der Fassung geraten war. Vorsichtig schielte ich zu ihm herüber. Gott sei Dank war er in seinen Sportteil vertieft.
Ich hatte das Gefühl, dass jeder, der die Annonce las, wissen würde, dass sie für mich bestimmt war. Als würde mein Name groß darüber stehen.
Ich schwor mir, nicht hinzugehen und wusste gleichzeitig, dass ich mir selbst etwas vormachte.
Das ganze Wochenende war mit mir nichts anzufangen. Ich war nervös und hatte Angst, dass mein Mann mir alles in meinem Gesicht ablesen würde.
"Ist etwas mit dir?", fragte er mich am Samstagabend.
"Ich habe bloß wahnsinnige Kopfschmerzen ..."
Als er mir vorschlug ins Bett zu gehen, damit ich mich erholen könne, nahm ich seinen Vorschlag dankbar an.
Doch auch dort kam ich nicht zur Ruhe.
Am Montagmorgen stand ich kurz vor neun Uhr auf der gegenüberliegenden Seite des Atlantic Hotels. Ich beobachtete den Hoteleingang, konnte Bernd jedoch nicht entdecken.
"Vielleicht kommt er ja gar nicht", dachte ich.
Nach etwa zehn Minuten hatte ich endlich den Mut das Hotel zu betreten. Ich sah mich in der Hotelhalle um, ob er vielleicht dort auf mich warten würde. Nichts! Der Portier schaute kurz auf, als ich langsam in Richtung Lift ging. Sah man mir an, dass ich auf dem Weg zu meinem Liebhaber war?
Vor der Zimmertür angekommen, atmete ich tief durch. Ich hatte die Hand schon zum Klopfen erhoben, doch ich zögerte. Noch konnte ich den Rückweg antreten.
Ich wusste, dass ich es nicht tun durfte, doch ich wurde wie von einem Magnet festgehalten.
Die Tür öffnete sich. Da stand er und ich war froh ihn zu sehen.
"... Hallo Engel... . Ich habe gespürt, dass du vor der Tür stehst", sagte er leise und zog mich ins Zimmer.
Wir küssten uns leidenschaftlich und mir wurde klar, wie sehr ich seine zarten Berührungen vermisst hatte.
Wie hatte ich die letzten Tage nur ohne ihn aushalten können? Es war mir unbegreiflich.
Seit diesem Tag treffen wir uns ein, -zweimal in der Woche und ich habe schon jedes Mal Sehnsucht, kaum dass wir auseinander gegangen sind.
Kann man zwei Männer gleichzeitig lieben?
Ich weiß nicht, wie lange das Ganze noch gut gehen wird, doch ich kann nicht ohne ihn sein. Ich bin süchtig nach ihm und seinen Berührungen. Gleichzeitig habe ich Angst meine Familie zu verlieren. Ich liebe Christian immer noch, wenn auch auf eine ganze andere Art und Weise.
Der Tag an dem alles auffliegt wird kommen. Und ich spüre, dass er nicht mehr fern ist. Es wird uns allen wehtun.
Bis es so weit ist, werde ich jede Sekunde genießen.



Eingereicht am 08. April 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.

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