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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Türmische Leidenschaft

© Wiesl


Als Karl zum Fenster hinausschaute, konnte er nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden. Sein Blick ruhte auf dem Alten Turm aus dem frühen 14. Jahrhundert. In der späten Nachmittagssonne strahlte das denkmalgeschützte Bauwerk eine besondere Ruhe aus.
Zur gleichen Zeit saß Sheryll im ICE von Köln nach Frankfurt. Seit der Fertigstellung der neuen Schnelltrasse beträgt die Fahrtzeit nur noch 77 Minuten. Aber sie achtete nicht auf die Geschwindigkeit. Ihre Gedanken kreisten um die Fertigstellung des Projekts. Auch sie konnte nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden.
Eines störte Karl an der scheinbaren Idylle. Die vielen Baufahrzeuge.
Was sollen die Kräne? Karl schwang sich auf sein Fahrrad und strampelte noch gemächlich Richtung Turm. Nur die Vorahnung, dass sich die Baufahrzeuge und Kräne in Bewegung setzen könnten, ließen ihn desweilen hurtiger werden.
Zugleich zermarterte sich Sheryll den Kopf. Die Ellbogen auf den Beitisch gelehnt, drückten ihre Hände wie ein Schraubstock an ihre Gehirnwindungen. Das Denkmalamt ... die Vorschriften 4c 108b 19e 1A ... die Kommune ... die Bevölkerung. Ich muss sie alle überzeugen ... den einzelnen die Masse ... die Politik ... das Land ... den Staat ... die ganze We... Sie unterbrach ihre Gedanken für einen kurzen Augenblick.
Karl kam dem Turm immer näher. Was soll hier geschehen? Was haben sie vor? Er quälte sich in bösen Vorahnungen. Alsdann fragte er den erstbesten Bauarbeiter, welcher ihm ratlos antwortete: "Keine Ahnung - wir warten"
Sheryll hatte die Pläne exakt Punkt für Punkt ausgearbeitet. Sie können nichts dagegen haben. Ich habe ein ausgewogene Für-und-Wider-Konzept erstellt, Es wird der größte und höchste Turm Europas ... welch Prestige und internationales Ansehen ... für ... alle.
Karl dachte an den Turm. Diese Pracht alter Baukunst, doch sein Innerstes verriet ihm gar Schreckliches.
Sheryll verließ den Zug. Eilends begab sie sich zum nächsten Taxi.
Karl frug derweilen andere Personen, die am Orte wichtig herumstanden, welches Ding hier abgezogen werden sollte. Keiner wollte eine Ahnung haben, oder tat auf sonderbare Weise gar geheimnisvoll. Karl aber bohrte sich immer tiefer in das Verlangen um Antwort auf sein Begehr. Als er ein ankommendes Taxi erblickte, eilte er schnurstracks auf dieses zu. Die Tür öffnete sich und Sheryll stieg aus. Sie blickten sich in die Augen und es war um sie geschehen. Sie im Designerkleid blickte noch hastig auf ihre Uhr. Er in T-Shirt und Jean nur mehr in ihre Augen. Es war der Moment in dem die Zeit stehen bleiben zu schien. 14h35 MEZ.
Die Arbeiter wussten sofort, wie ihnen geschehen war. Eilends starteten sie ihre Maschinen und verließen den Ort des Geschehens.
Die bereits anwesenden Politiker betätigten sich ihrer angestammten Arbeit, indem sie sich wortreich, aber deren inhaltsleer verabschiedeten. Der Sinn des Projektes verlor sich in Zukunftsgedanken, wie die Umleitung des Rheins um München anzubinden, oder Ähnlichem.
Es war bereits des Abends und die untergehende Sonne legte den Schatten des Turmes auf die beiden. Sheryll und Karl hatten alles um sich entmaterialisiert. Keine Worte keine Taten. Ein Kuss beendete die Bewegungslosigkeit ihres Daseins. Sie heirateten ... hatten sieben Kinder und der Turm war für sie das Zeichen ihrer Liebe geworden.
Eines Tages fand Karl die vergilbten Pläne von Sherylls Vorhaben den alten Turm gegen einen neuen auszutauschen. Lange dachte er über diese nach ... ließ sich scheiden und suchte sich eine junge Freundin.
Nichtsahnend, dass es sich um seine vor Jahren ausgerissene Tochter handelte, wollte er wieder im Schatten des Turmes de ersten Akt der Liebe setzen.
Währenddessen schlug sich Sheryll durch diverse Sado Maso Single Clubs ... Karl riss es plötzlich. Er war am Fenster beim betrachten des Turmes eingeschlafen. Erregt blickte sein Auge zum Turm ... keine Baumaschinen ... nichts wie und breit. Beruhigt ging er zurück ins Zimmer. Ich muss noch einkaufen gehen ... es soll ein schöner Abend werden ... ein netter Abend zu zweit. Wie spät ist es ... 16h30 ... ich habe genug Zeit ... zum Bahnhof ... hoffentlich hatte sie eine gute Reise ... er war noch müde ... am Sofa.
Sheryll war wieder ganz ihrem Projekt zugetan. Endlich war der Zug in Frankfurt angekommen.
Karl blickte auf die Uhr. Er wollte sich beim Zeitschriftenladen noch Lesestoff besorgen. Zu spät ... der Bahnhof ... Sie ... die Zeitschriften ... kein Problem ... konsensuale Tätigkeit beider Bedürfnisse.
Sheryll hatte genug dauernd an ihr Projekt zu denken. Es klappt ... oder auch nicht ... ich habe mein möglichstes getan. Sie beschloss sich eine Zeitschrift zu besorgen und in einem gemütlichen Lokal etwas auszuspannen.
Und da geschah es. Ein Räuber überfiel den Laden. Die hastigen Bewegungen mit der Pistole in der Hand verrieten seine Nervosität.
Sheryll machte eine unüberlegte Bewegung. Ein Schuss fiel. Doch Karl warf sich heldenmutig in den Flug der Kugel. Er fing mit seiner rechten Schulter das tödliche Geschoss genau vor ihrem Herzen ab. Der Räuber war selbst so erschrocken, dass herbeigeeilte Sicherheitskräfte ihn mühelos wegtragen konnten. Wie leblos sank Karl in Sherylls Arme. Sie blickten sich in die Augen ... Heirat ... sieben Kinder ... der Turm war gerettet.
Sheryll dachte sich, dass sie wohl etwas eingenickt sein musste.
Langsam öffnete sie ihre Augen und sah das erste Mal die vorbeirasende Landschaft.
Karl gähnte und sagte zu sich selbst. "Wache ich heute denn gar nicht mehr auf".
Er ging ins Badezimmer und stellte sich unter die kalt Dusche.
Aufgewacht und erfrischt spürte er Arbeitselan in sich hochkommen.
Ein Blick auf die Uhr. Es wird Zeit. Er war Restaurator historischer Bauten und hatte einen Auftrag für den Innenausbau des Turmes zu vergeben.
Er wusste, dass nur bei optimaler ökonomischer Lösung, dass Bauwerk gerettet werden konnte.
Die Architekturbüros wurden eingeladen, wie man die Innenausbauten gestaltet, dass die Bausubstanz so weit wie möglich erhalten blieb und trotzdem ein touristischer Nutzen möglich ist.
Das größte Problem hierbei waren die Toilettenanlagen. Ohne diese wäre ein Restaurantbetrieb nicht durchführbar. Nur ein Büro hatte ein für ihn akzeptiertes Angebot offeriert.
Sheryll war bereits unterwegs zu ihrem, für sie scheinbar existenziell überaus wichtigen Termin.
Sie zupfte ihre Kleidung zurecht ... ein Blick in den Spiegel ... Make up ... habe ich alle Unterlagen. Mein Vorschlag über den Einbau der Toilettenanlagen könnte das Pendel zugunsten mei... Und so war es auch ... der Turm war gerettet.
Bei ihrem ersten Gespräch philosophierten sie über Vergangenheit und Zukunft. Von der Verbindung Antikes zur Moderne. Sie waren sich einig die bestmögliche Symbiose geschafft zu haben. Bei ihrem zweiten Gespräch gingen sie diese auch ein. Liebe ... Heirat ... Kinder ... und die untergehende Sonne legte den Schatten des Turmes über die beiden.



Eingereicht am 03. August 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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