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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Martial Arts auf engstem Raum

© Meiko Gutmann


Die Uhr schlägt 16:30 Uhr. Gestresst vom letzten Kunden, in noch verabschiedender, mit dem Arm winkender Pose, trete ich den Weg zur Ausstellung an.
Es wird dringend Abwechselung benötigt, ein wenig Unterhaltung. 45 Grad Raumtemperatur, subtropische Verhältnisse, erdrückende Schwüle, die pralle Sonne scheint durch das viel zu groß dimensionierte Fenster meines Büros. Nein, da bekommen mich keine zehn Pferde rein. Vielmehr dürstet es meiner gescholtenen Verkäuferseele nach dem Spaß für zwischendurch. Fuß um Fuß betrete ich den Ausstellungsraum. Ein Blick nach rechts und ich beobachte aus sicherer Entfernung das Büro meines Kollegen. In für ihn typischer Haltung sitzt er gebannt vor dem Bildschirm und schaut angestrengt ein Loch in den selbigen. Blitzartig fährt es mir durch die Glieder. Wie Schuppen fällt es von den Haaren. Wer so bemitleidenswert um diese Tageszeit, bei den Temperaturen in seinem Büro kauert, dem dürstet es ebenfalls nach Adrenalin.
Der Plan, der eben noch in meinem Kopf schlummerte, schreitet nun zur Umsetzung. Auf leisen Sohlen, in geduckter Haltung bewege ich mich Richtung Büro. Auf der Hälfte des Weges halte ich kurz inne. Hat er mich gesehen? Ich sacke zusammen und beobachte das Geschehen. Nein, lediglich ein paar Sekunden Auszeit vom angestrengten Blick auf den Bildschirm. Weiter geht's.
Die letzten Meter schwebe ich nahezu über das Parkett. Von Leichtigkeit getragen, nehme ich nun Fahrt auf. Mit dem linken Bein, in Weitsprungmanier peile ich den Absprungbalken, die Fußmatte vor dem Verkaufsbüro an. Der Satz ist gültig. Ich befinde mich nun in der Flugphase. Eine ausgezeichnete Körperhaltung verhilft mir zum Gewinn an Höhe. Mit dem rechten Bein schon über den Türrahmen hinaus geflogen, stoße ich einen Schrei aus.
Nein, spektakulärer könnte dies auch bei Martial Arts Legende Keanu Reeves nicht aussehen. Apropos sehen. Wie in Zeitlupe nehme ich den kompletten Flug über jede Bewegung im Raum war. Im rechten Augenwinkel eröffnet sich mir ein Schatten. Oh Gott, ein Kunde hatte sich im Verborgenen, hinter der Wand am Eingang des Büros versteckt. Wie auf Kommando beginnen nun meine Drüsen Ihre Arbeit zu verrichten, Schweiß durchdringt die Poren und legt sich auf der Stirn nieder. Ich zwinge mein Gehirn zur Arbeitsaufnahme. Was nun? Wie komme ich aus dieser unsäglichen Nummer wieder heraus? Schon längst dreht sich mein Bemühen nicht mehr um meinen Kollegen. Martial Arts ade. Nun bedarf es des schauspielerischen Genies eines Kinski. In Gedanken der "Überlegenskampf" begonnen, tatsächlich auf dem Boden der Tatsachen angekommen, verstummt mein Schrei und ich ziehe die Reißleine des Fallschirms.
Abrupt ist die Flugshow beendet. Unsicheren Schrittes bewege ich mich nun zum Aktenschrank vor Kopf und ziehe wahllos eine aus dem Register. Wenige Meter, die mir vorkommen wie der Gang zum Schafott. Verblüffenderweise hinterlasse ich zwar den mehr als erstaunten Kunden und meinen irritierten Verkaufskollegen, doch die verbale Entrüstung bleibt von beiden Seiten aus. Schwein gehabt, wohl keine Beschwerde beim Chef. Nahezu unheimlich ruhig verweilen die Opfer hinter mir. Mein Haupt ziert schon lange ein mehr als bedenkliches Feuerwehrrot. Nachdem beide mehrere fragende Blicke untereinander austauschen, verlassen sie den Raum ohne einen Ton von sich zu geben. Ein kurzer tadelnder Blick meines Kollegen, das war´s.
Ich verharre wenige Momente mit der gegriffenen Akte in meinen Händen. Ein Seufzer folgt. Ich habe es überstanden. War es nun meiner schauspielerischen Glanzleistung zu verdanken, noch einmal ungeschoren davon gekommen zu sein? Nicht ganz den Tatsachen entsprechend. Denn im Nachhinein wusste mein Kollege die Geschichte sehr gut innerhalb unserer Firma zu vermarkten. Kein Auge blieb trocken. Für den Rest des Arbeitstages sprangen die amüsierten Kollegen an meinem Büro vorbei. Dem Spott und der Häme unseres Personals ausgesetzt wusste ich dennoch, an diesem Arbeitstage Großes für das Allgemeinwohl unserer Unternehmung geleistet zu haben.



Eingereicht am 20. Juli 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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