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Wolfsnacht

Von Sabine Ehrig


Kaltes Mondlicht macht den ersten Reif der Nacht auf den letzten Blättern der Bäume glitzern. In der Luft das Aroma des nahenden Winters. Ein verschrecktes Käuzchen ruft, als leise Tritte über den hart gefrorenen Waldboden nahen.
Vom Dorf scheinen Lichter empor. Ein Fackelzug bahnt sich den Weg durch enge Gassen. Leises Gemurmel, vom Wind getragen, flüstert dem Wald eine Weise.
Eisgraue Augen beobachten das Geschehen. Der volle Mond spiegelt sich in ihnen, ruhiger, gleichmäßiger Atem verdampft.
Noch wenige Meter trennen die Leute vom Dorfplatz, als leise erster Glockenklang zu vernehmen ist. Ein Schrei durchdringt die Nacht. Niemand vermag zu sagen, ob Mensch oder Tier klagt, doch die Sprache ist die gleiche. Die Stimme der Angst hallt in den Ohren des Beobachters. Er wittert das Feuer, den brennenden Reisig. Seine Augen wollen sich abwenden, doch sein von Spannung und Neugier trunkener Geist lässt ihn vortreten. Jeder Muskel gespannt unter seinem glänzenden Fell.
Die Menge unter seinem Blick bildet einen Kreis um das lodernde Feuer. Ein Mann in schwarzer Robe tritt vor und spricht. Seine Worte sind nicht zu verstehen, doch ihre Bedeutung schwingt in jeder seiner Bewegungen mit. Drohung und Verrat schwängern die Luft, die pflichtbewussten Denunzianten hoffen auf ewiges Seelenheil.
Sie haben sie entdeckt, die Geliebte des Bösen. Sahen sie liegen im Wald. Nackt, den Kopf geborgen im Schoß eines Wolfes. Wie Liebende sahen sie aus. Nur schlecht kann das sein, eines Teufels Werk. Nun soll sie brennen, die Wolfshure. Brennen, denn sie hat gestanden. Dass sie den Wolf liebe und jede Nacht bei ihm verbrächte. Und, nach langer Folter, dass es der Teufel sei, in dessen Schoß sie bei jedem Mond gelegen.
Der Menge das Futter, dem Pöbel sein Glück. Drum muss sie jetzt sterben, ihr Teufel wird sie nicht retten.
Und auf seinem Hügel, ganz nahe im Wald, sitzt der Wolf und schaut. Seine Augen regen sich nicht vom Geschehen, sein Herz rast, Adrenalin schwimmt in seinem Blut wie auf tobender See.
Sie führen die Frau zum Feuer her, schreien, speien sie an, Gerten schlagen auf nackte Haut. Jeden Schlag spürt er und nährt mit ihm seinen Hass. Er weiß um seine Stunde.
Sie stoßen sie ins Feuer unter Gejohle. "Brenne! Brenne!", tobt der Mob. Und sie brennt. Kein Laut dringt über ihre Lippen, als die Flammen ihr leuchtend rotes Haar erfassen, ihre winterweiße Haut verkohlen und das Fleisch von ihren Knochen brennen. Keine Träne, kein Fluch. Sie übergibt sich dem nahenden Tode voller Stolz. Und weiß um die Stunde des Wolfes.
Im Morgengrauen verglimmt die letzte Asche. Das letzte Gebet gesprochen ziehen die Leute sich zurück in ihre Häuser. Gut zu ruhen versprechen sie sich nach getaner Gottespflicht.
Erneut treten leise Schritte durch den Wald, zum Hügel hin, wo der Wolf noch immer sitzt. Er wittert vertrauten Duft, ein Beben in seinen Lenden. Sie setzt sich neben ihn, gemeinsam beobachten sie aus eisgrauen Augen das Dorf, das nun Ruhe findet. Als das letzte Licht gelöscht wird, schauen die beiden Wölfe sich an. Er wittert noch immer den Geruch des Feuers an ihr, fast ist es, also schlügen noch Funken aus ihrem flammend roten Fell.
Von der Kirche her klingt Glockenläuten. Die Menschen haben keine Furcht mehr, die Hexe ist tot. Sie lassen ihre Türen offen, damit der kühle Nachtwind ihnen den Duft ihres selbstgerechten Handelns bis ans Bett wehen kann.
Die Glocken klingen lauter und voller.
Die beiden Wölfe setzen sich in Bewegung, dem Dorfe entgegen. Ihr Tisch wird reich gedeckt sein heute Nacht, jede offene Tür, jedes offene Fenster eine Einladung.
Die Glocken läuten die letzte Stunde ein. Die Stunde der Wölfe.




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Eingereicht am 23. Februar 2004.
Herzlichen Dank an die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin.