Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
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Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"

>Cut and go<

Eine Kurzgeschichte von Holger Böhm


Es goss in Strömen als ich das Haus verließ.
Ich zog meine Schultern hoch, warf die Kapuze meines Barbours über und verstaute meine Hände in den Seitentaschen.
In Gedanken versunken, trat ich - ohne wirkliche Wahl - in eine der vielen Pfützen. Und noch während ich mich darüber aufregte, trat ich in die nächste. Gelassenheit ist eine buddhistische Tugend. Kurz überlegte ich, ob ich konvertieren solle. Aber dann fiel mir die kirchliche Hochzeit meines Cousins ein und ich verwarf den Gedanken wieder.
Bevor ich zur Hochzeit fahren konnte, hatte ich noch zwei Dinge zu erledigen. Ich musste mich um ein Geschenk kümmern und ich wollte noch zum Friseur.
Der Regen nahm zu und so schwamm ich mehr als ich ging Richtung >Cut and Go<. Das Konzept von jungen dynamischen Haircuttern in großzügigen Räumen mit trendigem Interieur hatte mir anfänglich sehr gefallen. In letzter Zeit hatte ich aber immer wieder feststellen müssen, dass der Slogan nicht mehr ganz treffend war. Nachdem das Konzept auch von norwegerpullitragenden Studenten und von midlife crisis gebeutelten Ehefrauen angenommen worden war, hätte der Slogan, um der Wahrheit genüge zu tun: >Come - and wait - and wait - and wait - and cut and go< heißen müssen.
Einen gewichtigen Vorteil hatte dieser Schnellimbiss unter den Haartempeln aber dennoch. Das weibliche Personal.
Ich betrat >Cut and go, after come and wait< und hatte verdammt viel Glück - und das gleich zweifach.
Nur eine Frau und zwei Männer saßen in der Sitzgruppe neben dem Eingang. Das ließ hoffen, nicht allzu lange warten zu müssen. Das noch größere Glück aber war, ich erblickte ausschließlich weibliches Personal.
Nachdem ich mich meiner Jacke entledigt und mir es in einem schwarzen Ledersessel bequem gemacht hatte, kam schon eine blond gelockte Friseuse auf mich zu und fragte "Möchtest du etwas trinken?"
"Nein."
Sie drehte sich um. Meine Blicke blieben an ihr kleben und was ich sah, erfreute meine Natur. Um nochmals in diesen Genuss zu kommen, warf ich - fast pfeifend - hinter ihr her "Doch, bring mir einen Kaffee."
Sie blieb stehen und drehte sich um. Ich merkte, dass sie etwas genervt war, aber das machte mir nichts aus. "Mit Milch und Zucker?" fragte sie. Ich antwortete "Schwarz" und dachte >Für Milch und Zucker kann ich dich immer noch laufen lassen<.
Sie zog los und nachdem mein klebriger Blick von ihr los riss, blickte ich mich um.
Es gibt Dinge, die ich mag und es gibt Dinge, die ich nicht mag. Friseusinnen, die beim arbeiten quatschen, die glauben, etwas zu erzählen zu haben oder etwas wissen zu müssen, gehören zur zweiten Kategorie.
Ich mag Friseusinnen, die still sind, denn dann sind sie schön. Und wenn sie schön sind, sind sie nützlich.
Ich lasse mir nicht die Haare waschen, weil sie schmutzig sind, sondern weil ich schmutzige Gedanken habe. Obwohl - schmutzig ist die falsche Bezeichnung für das Gefühl, das mir in den Kopf steigt, unter die Haut fährt und meinen Bauch füllt, wenn ich an eine Friseuse denke.
Was sich in mir breit macht, mich gefangen nimmt und gleichzeitig befreit, sind gleichermaßen erotische Fantasien und archaische Erinnerungen.
Wenn zarte Frauenhände mit zielstrebiger Professionalität mir die Kopfhaut beim Shampoonieren massieren, schließen sich meine Augen und ich erspüre mich auf einer hellgrünen Lichtung sitzend: Hinter mir ein Affenweibchen, das mit zielstrebiger Geschicklichkeit meine Haarkleid durchkämmt und mich entlaust. Ich sehe in mein Gesicht und erblicke ein Augenpaar, zu Schlitzen geformt und ich höre ein dumpfes, knurrendes Schnurren. Unter den Händen einer Friseuse mache ich eine Reise in meine tierische Herkunft.
Mir genügt eine halbe Stunde bei einem Affenweibchen, wofür andere 12 Sitzungen á 45 Minuten bei ihrem Psychiater brauchen. Und im Gegensatz zu mir, bleiben deren Haare schmutzig.
Und später dann, während diese zauberhaften Wesen mir dann die Haare schneiden, beschenken sie mich mit weiteren Fantasien und manchmal mit Einblicken in ihre Blusen. Und ich weiß, dass sie von meinen Fantasien wissen und meine eindeutigen Blicke im Spiegel und mein vorsichtiges Schielen auf ihrem Körper spüren. Und es erhebt mich, dass sie dennoch ein Lächeln auf ihren Lippen tragen und mit professionellen Händen mir dienen. - Und sie dienen gut.
"Hier ist dein Kaffee." Ich blickte hoch und sah eine gelockte Brünette mit großen Brüsten unter einer weißen, gespannten Bluse - was sonst.
Die prallen Dinger zogen den Blusenstoff zwischen den Knöpfen so auseinander, dass ich ihren dunkelblauen, engen BH erblicken konnte. Irgendwo hatte ich einmal gelesen, dass jede zweite Frau BHs trägt, die eine Nummer zu klein sind. "Danke." lächelte ich und dachte >Du jede zweite Frau<. Als sie sich umdrehte und ging, erkannte ich, dass eine Hosenstudie wohl zu einem ähnlichen Ergebnis kommen müsste.
Ich schlürfte meinen Kaffee. Und um nicht ständig von den Bewegungen und Rundungen dieser musenhaften Weibchen gefangen zu werden, zwang ich mich in einer der ausgelegten Zeitungen zu blättern. Plötzlich blieben meine Augen an einer Schlagzeile hängen. >Kanadische Friseuse kastriert Kunden mit Rasiermesser< Immer wieder und wieder lass ich diese Zeile. Zerlegte sie in Einzelteile >Friseuse<, >Kunde<, >Messer<, >Kastration<, >Friseuse<, >Kunde<, >Messer<, >Kastration<, >Friseuse<, >Kunde<, >Messer<, >Kastration<, und setzte sie im Geist wieder zusammen, um zu fassen, was sie besagten >Cut and Go<. Mein Puls beschleunigte, mein Herz raste, meine Hände wurden feucht und mich fröstelte. Ängstlich, wie ein ertappter Dieb sah ich hinauf und blickte hektisch, wie ein gejagtes Tier nach links und nach rechts.
Vor mir am Ende meines getunnelten Blickes sah ich in Zeitlupe die blonde Walküre raubtiergleich auf mich zu kommen. Mein Atem wurde schwer und ich zitterte. Ich wendete meinen Blick zu ihren Händen und meinte eine silberne Schere erkennen zu können. Dann stand sie vor mir. Und bevor sie etwas sagen oder tun konnte, sprang ich aus dem Sessel, stammelte ein >Hab´s mir anders überlegt<, schnappte meinen Mantel, flüchtete hinaus und rannte die Straße hinunter.
Als ich endlich stehen blieb, stand ich mit beiden Beinen in einer Pfütze. Ein kleines Mädchen mit gelben Gummistiefeln kam vorbei und lachte mich aus.




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Eingereicht am 05. September 2003.
Herzlichen Dank an die Autorinnen.
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