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Der Mann, der vergewaltigt wurde
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Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

Teach me tiger ... Oder: Die Lektion

Eine Hommage an April Stevens   © Ronald Henss

Zielstrebig steuere ich durch den dunklen Saal auf die schummrig beleuchtete Bar zu, schnappe mir den erstbesten Barhocker, lege das Päckchen auf der Theke ab und sag in meinem schnodderigsten Tonfall: "Hi, Busty!"

"Hi! Ein Dirty King, wie immer?" Ihre Stimme klingt noch verruchter als sonst.

"Nein, nur'n Glas Wasser. Ich brauch nen klaren Kopf."

Kurz drauf schiebt sie mir ein Glas Wasser hin. "Na dann: Prost und viel Glück! Das wirst du brauchen."

"Hmmm ... danke. Ähhmm ... ach, was ... gönn dir nen Champus, geht auf meine Rechnung."

Als sie das Sektglas hebt, streicht ihre Zunge über die knallrot geschminkten Lippen. "Also dann noch mal: Prost!"

"Ja, Prost."

Oh, Busty, du hast auch schon bessere Tage erlebt! Aber ich muss zugeben: Das hat was, diese verlebte Nuttenvisage, der grelle Lippenstift, die zottelige Mähne und der Megabusen, der den dunkelroten Bademantel sprengt. Seit ich sie kenne, rennt sie mit nem dunkelroten Bademantel rum. Erst wenn der erste Kunde den Schuppen betritt, trennt sie sich von dem Ding; und kaum ist der letzte Gast raus, schlüpft sie wieder rein.

Sie zieht einen Stuhl heran, beugt sich zu mir und legt die schwere Last auf der Theke ab.

Mein Gott, Busty, du und deine Titten! Deine guten Tage liegen Jahrzehnte zurück, aber die Dinger sind immer noch ein Mordskapital. Oh, Halt! Stopp! Jetzt darf ich an alles denken, bloß nicht an Mord.

Busty plappert ununterbrochen. Ich liebe den dunklen Klang ihrer Stimme, aber ich höre nicht zu, was sie sagt. Nur ab und zu schenke ich ihr ein "Mhhhm" oder ein "Ah, ja".

Hinter mir üben die Mädchen auf der Bühne. Normalerweise würde ich rüber glotzen und mit Busty wetten, wer von den Mädels morgen früh so besoffen ist, dass sie sich von mir abschleppen lässt. Aber jetzt muss ich einen klaren Kopf behalten. Und wenn die Sache erst mal durch ist, dann stellt sich diese Frage ...

Teach me tiger ... Halt! Das ist Janas Lied.

Sofort rutsche ich zwei Barhocker weiter nach rechts. Von dort aus kann ich die Nummer in dem großen Barspiegel verfolgen.

Busty grinst: "Ja, ja, die Jana, die hats dir angetan."

"Na, wenn du meinst. Du musst es ja wissen."

Ja klar, es ist Jana. Sie übt mal wieder ihren heißen Strip an der Stange. Und dazu Teach me tiger ..., mein Lieblingssong. Echt scharf, diese Nummer. Jana ist nun mal durch und durch professionell - nicht nur auf der Bühne.

Busty ist kein bisschen beleidigt, dass ich nur noch gebannt in den Spiegel hinter ihr starre und ihre prallen Möpse keines Blickes mehr würdige. Ihre Worte rauschen an mir vorüber.

... Touch me tiger when I'm close to you wa wa wa wa wa ...

"Ja, die sieht wirklich super aus, deine Jana."

"Was heißt hier 'deine' Jana? ... deine Jana ... deine Jana ...", äffe ich sie nach.

Aber Recht hat sie. Jana sieht fantastisch aus. Nur die blöde blonde Perücke, die passt gar nicht zu ihr. Wenn das Ding durchgezogen ist, kannst du die gleich wegschmeißen, Jana. Deine rotbraune Löwenmähne steht dir viel besser. Überhaupt, bald brauchst du gar nicht mehr hier unten rumzuturnen. Dann regieren wir zwei den Laden. Du und ich - von oben.

... All of my love I will give to you ... But teach me TIGER ... or I'll teach you ... ooh ... tiger ... tiigeeR... tigrrrR...

"Die hat dir aber ganz schön den Kopf verdreht, die Jana."

"Ach, Busty, halt mal die Klappe", sag ich genervt, und dann, ganz unbeteiligt: "Wo steckt denn Jack?"

"Der ist noch nicht da. Kommt heut später."

Ich weiß genau, dass sie lügt. Aber ich kann's ihr nicht verdenken; in diesem Laden ist es allemal besser, nur das zu sagen, was man sagen soll. Wie zur Bestätigung blinzelt sie mir verschwörerisch zu.

Ich bin ganz sicher: Jack steckt oben und lässt sich von zwei oder drei Mädchen verwöhnen. Die Natascha und die Carol sollen zur Zeit seine Favoritinnen sein. Na ja, mir kann's egal sein. Soll er doch noch ein bisschen Spaß haben, bevor ...

Ein Blick auf meine Rolex sagt, dass es an der Zeit ist: Noch 7 Minuten und 13 Sekunden.

Ich schiebe Busty das schmale Zündholzpäckchen hin. Das dunkelblaue mit den Goldlettern: "Marriott Resorts, Bangkok".

"Das gibst du Jack. Der weiß, was das bedeutet."

Ich bin sicher, Busty weiß es auch. Aber die wird dichthalten. Die weiß nur zu gut, wie es Jessy ergangen ist.

In Gedanken spule ich den Plan noch mal Punkt für Punkt ab.

Auf die Sekunde genau verlasse ich die Bar.

Draußen ist es schon stockdunkel. Ein eiskalter Wind schneidet mir ins Gesicht.

Zwei vereinzelte Flöckchen. Oh Gott, jetzt bloß kein Schnee. Spuren kann ich nicht gebrauchen. Nachher kann's von mir aus schneien so viel es will. Wär' sogar ganz hilfreich, so ein dichter Schneemantel, der alles zudeckt.

Die Rolex zeigt: Noch 4 Minuten, 23 Sekunden.

Ich ziehe den Hut tief ins Gesicht, klappe den Mantelkragen nach oben und gehe weiter. Jeder Schritt genau abgezählt.

Jack, was für ein Name! Aber wer will schon Friedhelm Heinrich heißen?

Die Rolex zeigt: Noch 1 Minute, 18 Sekunden.

Ich summe still in mich hinein: Teach me tig...

Ich behalte die Rolex im Auge und fasse mit der Rechten in die geheime Manteltasche. Fühlt sich kalt an. Sogar durch die Handschuhe.

Teach me tiger ... Ja, diese Lektion wird er verstehen ...

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