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Kurzgeschichte

Ärger in Vokalien

© Torsten Houben


Wo genau die Grenzen zum Königreich Vokalien lagen, weiß heute niemand mehr zu sagen. Mittlerweile hat sich das Land mit anderen Ländern vermischt und da niemand mehr so redet, wie es dort üblich war, erinnern sich die wenigsten daran.
Vokalien wurde von fünf Königen und Königinnen regiert. Es war in fünf Fünftel aufgeteilt. Jeder Teil hatte eine eigene Sprache. Königin Anna regierte über den ersten der Teile. Dort sprach man "A". So hieß die Sprache dort. König Ede herrschte im zweiten Teil, in dem man "E" sprach. Iris hieß die Königin des Fünftels in dem man "I" redete, und Otto war König des Teils, wo man "O" sprach. König Ulf sprach, ebenso wie seine Untertanen "U" und glaubte, dies sei die einzig wahre Sprache. Lange schon stritten die Provinzen von Vokalien über die Einführung einer einzigen Landessprache. Aber da jeder auf Beibehaltung seines Dialektes bestand, gab es keine Hoffnung auf Einigung.
Es kam so weit, dass man sich untereinander den Krieg erklärte. Jeder gegen jeden.
"Er erntet ernste Wehr!", ließ Ede den vier anderen Herrschern seine Drohung zukommen. Diese wurde nur schwer verstanden, aber man reagierte.
"Ist Igitt!", empörte sich Iris.
"Otto tobt!", machte König Otto seinem Ärger Luft.
"Ruft uns zum Gruß!", schrieb Ulf in einem Brief an seine Mitkönige.
Man rätselte, was er damit wohl sagen wollte, kam dann aber zu der Überzeugung, dass es nur eine Beleidigung und Aufruf zum Angriff sein könne.
"Anna hat Hals! Am Samstag!", überbrachte Annas Bote den anderen als Warnung. Anna ist verärgert und will am Samstag angreifen. So lautete die Nachricht. Doch verstanden wurde es von keinem der Könige der anderen Landesteile.
Schließlich traf man sich am Fünf-Länder-Eck und stritt persönlich miteinander. Jeder Herrscher hatte einige Minister und Vertraute mitgebracht.
"Uhu!", beschimpfte Ulf den König Ede.
Königin Anna war dermaßen aufgebracht, dass sie einen der Herrscher mit einem Wort betitelte, das man weder sagen noch schreiben sollte. Es begann mit "A" und hörte mit "sch" auf.
"Ekel!", schrie Ede und meinte damit jeden der Anwesenden.
"Otto hopst fort! Oh Gott! Otto tobt so!", rief einer der Minister aus Ottos Fünftel und deutete auf den Monarchen, der sich anschickte, die Versammlung zu verlassen und seine Armee zu holen.
"Otto trotzt", stellte ein zweiter Minister fest und schüttelte traurig den Kopf.
"Du bleibst hier Onkel Otto!"
Eine junge Frau stellte sich ihm in den Weg. Der König sah sie zornig an und zischte: "Los, komm! Sofort!"
Die beiden gingen ins Schloss zurück, wo, allein mit der jungen Dame, mit König Otto eine seltsame Wandlung vor sich ging.
"Warum bist Du zurückgekommen Pauline? Du wurdest von mir fortgeschickt, damit Du etwas Vernünftiges lernst. Du sollst nicht hier bei diesen Verrückten leben. Hier droht mittlerweile sogar ein Krieg."
"Aber ich habe etwas gelernt Onkel! Dass ich denselben Sprachfehler habe wie Du, war im Ausland ein Vorteil für mich. Wie ich hörte, kannst Du ja mittlerweile perfekt O sprechen."
"Ich gebe mir Mühe, aber wie Du bereits bemerkt haben dürftest, kann ich ebenso mühelos wieder undeutlich sprechen. So wie jetzt."
"Aber Onkel Otto! Dort wo ich war, hinter den Grenzen von Vokalien reden alle Leute so wie wir beide. Und ich habe gelernt, wie ich allen Vokaliern beibringen kann, dies auch zu tun. Alle würden sich verstehen."
"Wie willst Du das machen?"
"Ich habe Logopädie studiert und wenn jeder Einwohner fleißig mit mir übt, wird es bald nur noch eine Sprache geben."
"Das muss ich erst mit den anderen Königen und Königinnen besprechen."
"Tu das. Vertrau mir", sagte Pauline.
König Otto lief wieder zurück zu den Mitherrschern. Vor Aufregung vergaß er, seinen "Sprachfehler" zu verbergen.
"Da bin ich wieder. Es hat etwas länger gedauert. Pauline und ich haben etwas beschlossen."
"Was?", fragte Anna.
"Irrsinn", stellte Iris fest.
"Wurmsucht", machte Ulf den Versuch, dem Grund für Ottos seltsame Redeweise einen Namen zu geben.
"Er redet verwegen. Er redet e", entschlüpfte Ede ein Lob.
"Und u", sagte Ulf verwundert.
"Sagt a!", rief Anna.
"Irritiert mich mit i", schmollte Iris.
Pauline ergriff das Wort und erklärte den Königinnen und Königen ihren Plan. Alle waren damit einverstanden, von nun an mit ihr die fünf Vokale zu üben und so brachte eine Logopädin dem Land Vokalien für immer den Frieden.



Eingereicht am 30. März 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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