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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Ich glaube nicht

© Peter Ide


Ich bin auf dem Weg aus dem Haus, um an der Tankstelle noch einige Zeitschriften zu erstehen. Da ereilt mich von hinten noch eine flehende Stimme mit einem Auftrag: " Kannst du mir aus der Drogerie noch einen Nagellackentferner mitbringen?"-"Na klar"- "Weißt du auch welchen?" - "Klar ... so einer, wie oben im Bad steht"
Damit dieser Auftrag auch sofort erledigt wird, steuere ich den nächsten Drogeriemarkt an. Helle freundliche Umgebung, blank geputzter Fußboden, scheinbar übersichtlich und sicherlich das optimale Umfeld diesen erwähnten Nagellackentferner zu ergreifen.
Mit einem Blick, ähnlich wie beim Dartspiel, schweife ich über die Regale voller kleiner, bunter Fläschchen, Kartonagen, Tuben und Töpfchen.
Die Ordnung scheint mir nach anderen Gesichtpunkten zu stehen, wie die, die gerade im Kopf benötigen würde. Einerseits nach Körper- Haar - Gesichtpflege sortiert, andererseits wieder nach Markennamen und deren kompletten Angebote.
Erste Irritationen kommen auf. Ich muss meine Hoffnung begraben, eine direkten Wiedererkennung mit dem Fläschchen, was da zuhause steht, zu erleben.
Regale ausschließlich mit Lippenstiften oder Duschgels belegt ignoriere ich. NAGELLACKE - ein guter Hinweis und tatsächlich links unten eine kleine Verpackung auf der immerhin schon ein erfolgreicher Fund sichtbar wird. NAGELLACKENTFERNER ! Noch ähnelt er nicht dem, in meinem Kopf gespeicherten, grünlich transparenten Modell.
Weiter in den Regalen - meine Orientierung an den Nagellack-Aufstellern erwies sich als nicht ungeeignet.
Da wieder eine solche Substanz - anderer Hersteller - Keine Über-einstimmung. Mein Blick fällt auf ein offensichtlich dazu gehörendes Preisschildchen. Stutzend über die scheinbar vollkommen überzogene Summe stellt sich nun auch die Frage: Was kostet eigentlich solche Flüssigkeit ? Wodurch unterscheiden sie sich ? Eventuell durch Duft-Richtungen ? Nein - bisher konnte mich dieser ätzende, lange in Räumen verweilende, Duft noch nie zu irgendwelchen Begeisterungsstürmen hinreißen. Irgendwie ähnlich. Dabei denke ich auch an die möglichen, chemischen Zusammensetzungen, deren Wirkung - und sogar daran, ob man ähnliches, mit gleicher Wirkung auch im Farbenregal des Baumarktes finden könnte.
Dort hätte ich sicherlich erfahrenere Suchsysteme parat. - NEIN - Diesen Gedanken schlug ich mir schnell wieder aus dem Kopf - viel zu niveaulos und sicher auch als Laie ohne Background-Wissen - NEIN.
Die Suche macht mich nach dem dritten Regal schon etwas nervös.
Langsam schwenken meine Blicke auch auf die, dort eilig herum huschenden, Damen mit den weißen Kitteln - diese Damen, die ganz- oder halbtägig, die hier vorherrschende Ordnung besser verstehen.
Sollte ich mir die, mittlerweile doch aufkommende, Hilflosigkeit jetzt schon anmerken lassen - Nein. Ehrensache.
Nun schon etwas geschult auf die Fläschchen, welche in Größe, Form und Farbe dem Zielprodukt näher kamen, setze ich meine Suche fort.
Die erheblichen Preisunterschiede lassen mich nicht los. Ebenso aber die Tatsache, dass manche, wohl wegen der Imagepflege, in zusätzlichen, adretten Schächtelchen untergebracht waren.
Öffnen - leicht gesagt, da gab es auch noch zelophanierte Um-Hüllungen. Das wäre nun doch zu vermessen. Die eine oder andere Flasche hatte ich in der Hand und plötzlich, in einem von mir vorerst nicht angesteuerten Regal, Zuordnung unbekannt - aber doch direkt in Blickrichtung eine Wiedererkennung dessen, was da zuhause im Glasregal steht. - Wieder kommen Irritationen auf. Gleiches Aussehen - aber kein Grün, nein ein leichtes Rosa füllte meine Flasche der Erwartung. Erwische ich mich doch, wie ich diese, frei zugängliche Flasche öffne, mit meiner Nase eine kräftige Brise zu nehmen im Stande war. - Ekelhaft - Ätzend - Na eben doch wie ALLE.
In diesem Moment werde ich angesprochen. Eine dieser eben erwähnten Damen hatte mich wohl schon einige Zeit beobachtet und ebenso einige Zeit übrig - Zeit, um mir vielleicht meinen Wunsch nach schnellen Einkauf zu erfüllen.
"Welchen Duft suchen Sie denn?" Eben KEINEN - aber mit einem leichten, doch erkennbaren, Lächeln auf ihren Lippen bekam ich nun den Eindruck, dass SIE mir bei meiner endgültigen Entscheidung bei Seite stehen würde.
Es folgte eine kurze Erklärung meinerseits, welche ohne Umschweife zur Beantwortung meiner Frage führte. Der Hersteller habe lediglich die Farbe geändert.
Wozu, frage ich nach, aber diese Antwort blieb sie mir mit einem kleinen Achselzucken schuldig. Wozu sollte man auch Farben ändern ?
Damit Männer wie ich, etwas mehr Abenteuereinkauf verspüren ? Wohl kaum.
Eigentlich auch unwichtig, denn nun hatte ich mein Produkt in der Hand, hielt es aus sicherheitstechnischen Gründen auch fest und eilte zur Kasse.
Erfahrungen waren hier wieder gefragt, denn aus ähnlichen Situationen wusste ich, dass es unerheblich war an welcher Kasse ich mich anstellte. Unvorhersehbare Verzögerungen würde es allemal geben. Trotzdem beäugte ich die dort sitzenden Kassiererinnen um eventuell mehr oder weniger eifriges Durchziehen der eingekauften Teile zu beobachten. Kein Bonstau, Kein Storno, Kein Umtausch, Kein Gutscheinkauf - Ich konnte bezahlen. Vorher durfte ich jedoch in der Warteschlange noch Lust auf AIRWAYs, DVD-Sonderangebote und sonstige Kleinigkeiten eingeflößt bekommen und ... meine Hand führte zur Addition meines Einkaufs.
Möchten Sie noch eine Tüte? - "Ja" - So legte die Kassiererin eine Einkaufsmenge entsprechende, hauchdünne Plastiktüte auf meine Waren.
Bereits während des so genannten Kassiervorgangs versuchte ich die Lasche dieser Tüte für die Bestückung zu öffnen.
Sie hatte zwischen meinen Fingern eine Geschmeidigkeit ohnegleichen - aber keinerlei Öffnung konnte ich durch die immense statische Aufladung dieser Tüte erwirken. Mein Rückgeld wurde mir in die Hand gelegt. Zwischen Tüte und Ware wurde mir jetzt ein "schönen Abend noch" gewünscht.
Das war dann wohl auch die Aufforderung das Fließband mit meinen Errungenschaften möglichst schnell zu verlassen. Also sprang ich eilig in die auslaufende Endzone der Kasse und schaffte schließlich mit angefeuchteten Fingerkuppen doch eine ordentliche Einkaufstüte herzustellen. - Geschafft.
Die Moral von der Geschichte? Es gibt doch noch ungeahnte Felder in denen wir Erfahrungen sammeln können - und - In Drogerien herrschen wohl andere Navigations-Richtlinien als in den, doch eher bekannten, Tankstellen- oder Baumärkten.

Eingereicht am 15. März 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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