Karin Reddemann
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Pelz auf der Haut

© Karin Reddemann


Siegfried mag die Geschorenen nicht. Glatt und nackt, da regt sich bei ihm gar nichts. Sagt er und lüftet kopfschüttelnd sein weites Flatterhemd, um einen kummervollen Blick auf die eigene Brust zu werfen. Nur ein paar lieblos verteilte Löckchen. Halten sich aber tapfer. "Echte Kerle haben Pelz." Seufzt Siggi und schimpft. "Die Jungs rasieren sich alle. Sieht beschissen aus. Fühlt sich unwichtig an. Nix zum Rumwühlen." Kneift sich anklagend in die Hüfte und nörgelt weiter. "So was muss weg. Wegwegweg. Aber doch nicht die Haare." Lässt sich krank in den Sessel fallen und schließt erschöpft die Augen. "Neeneenee. Ach nee." Öffnet sie einen listigen Spalt breit und grinst Tobias "Tobbi" Kenkmann an. "Du bist richtig, mein Freund. Zieh doch mal das T-Shirt aus." Der zieht die Nase nur kurz aus seinem Buch, tippt sich an die Schläfe und blättert um. "Bittebitte." Kein zweiter Blick von Tobbi. Rührt sich nicht, der Hetero-Penner. "Ich tu Dir nix. Bloß gucken." - "Nein. Ruhe jetzt." Das klingt streng. Endgültig auch. Aber Siggi wäre nicht Siegfried E. Tomczak, der zärtliche Ritter mit Veilchen am Helm, würde er sich geschlagen geben. "Ich geh' danach auch aufs Clo. Jetzt mach schon." Tobbi klappt, haut, knallt sein Buch zu, wird unnötig laut. "Ich bin nicht Deine Wichsvorlage. Klar?!" Schweigen. Beleidigtes, langes Schweigen. Siggi sinniert böse.

Es ist einer dieser schlechten Tage. Er könnte zum Bahnhof fahren, vielleicht auch zu Pittas Frittenpalazzo kurz vor der Abfahrt Stöckbergen-Süd, wo sie sich treffen, weil sie es wissen. Das wäre ein feiner Rausschmiss für seinen Kumpel Tobbi, würde ihm recht geschehen, müsste Leine ziehen mit seinem blöden Roman. Dann fällt ihm ein, dass Tobbi zweihundert Kilometer auf dem Buckel hat. Zweihundert in einem stinkenden kleinen Auto, die ihn zu ihm geführt haben. "Komm Dich am Samstag besuchen." Jau aber auch, mächtig gefreut. Hängt jetzt spießig hier rum und liest um sein Leben. Gut sieht er aus. Kurze Haare, grau-schwarz getupft, wie bei Großtante Friedelgunds Terrier-Töle. Sprenkel auf der Nase. Arsch in den Jeans. Dschungel auf der Brust. Bedauerlicherweise kein Fall für Siggi. Tobbi hängt nur am eigenen Schwanz. Zuckersüßer Tittenstecher, der. "Soll ich Rauchermösen reinschmeißen?" Eindeutig ein Entgegenkommen. Siggi lauert, Tobbi lacht heiser, legt den Schmöker auf die Knie, dreht sich eine. "Für mich nicht. Dachte, Du willst'n Weilchen pennen." Siggi lässt die Bierdose spritzen, schlürft und schluckt gequält. Mag das Zeug nicht wirklich. Mit Konrad schlabbert er Prosecco und lästert ab. Danach Blow, blow, blowing in the wind. Macht eindeutig mehr Spaß. Tobbi kennt Konrad flüchtig, spielt ausgerechnet jetzt den Quizmaster. "Was macht Rademann?" Siggi winkt ab und fächert sich mit der freien Linken Luft zu. Ein stickiger, stinkender Sommer, nicht sein Ding, er schwitzt schnell, muss ständig unter den Achseln schnüffeln, ob's noch geht. "Mal so, mal so." Tobbi nickt, leckt am Blättchen, greift nach dem Feuerzeug. "Soso." Kippt sein Bier, um nicht reden zu müssen, rülpst. Furzt. Entschuldigt sich nicht. Siggi kichert. "Olle Sau." Denkt ans Internat. Der war schon immer so, denkt er, so verflucht viel Mann. Quasselt über Nietzsche und pupst im Rhythmus seiner oberschlauen Sätze. Hat das nie wirklich kapiert, dass Kerle sich irgendwann aufrichtig entscheiden sollten. Tobias Kenkmann, seines Zeichens Schwulenversteher, der trotzdem jeden umnieten würde, der ihm in den Schritt packt. Tobbi, der zu schön ist für die Konsequenz, seinen Hintern niemals in die Meute zu schmeißen. Um stark und fest zu schmecken, was er abartig nennt. "Nur für mich persönlich, hab' nix gegen Homos. Soll'n mir nur nicht quer kommen." Tobbi hatte Siggis Freundin gekannt, Ariane Sondermann, eine flachbrüstige Bankkauffrau mit Mozartzopf, den sie am Wochenende löste, um auf die Piste zu dackeln. Ariane, das war nach Siggis frühen Jahren auf den Toiletten am Hauptbahnhof, wo Löcher in die Kabinen gebohrt wurden, um zu gucken oder durchzustecken, was exakt passt. Ariane, das war sein Versuch, ein braver Junge zu sein. Für Papi und Oma Gertrud-Nord. Vielleicht auch für sich selbst. Immerhin seine längste Beziehung. Eine gute Zeit, begleitet von heimlichen Exkursionen in die Schattenwelt, in der er in heißem Gummi tauchte, um atmen zu können. Ariane, das war seine Therapie. "Woran denkst Du, wenn Du wichst?" Er hatte nicht lange überlegt, er war mürbe geworden. Erleichtert, dass sie fragte. Sie trennten sich.

Mittlerweile hat Siggi die vierzig überschritten. Bleibt vorerst noch locker, pirscht und jagt und fängt, frisst und stößt, zerwühlt nasse Laken und hört die Tür zufallen, während er am Kaffee nippt. "Man sieht sich." Nichts von Dauer. Er ist trotzig, braucht nichts Festes. Manchmal kommt die Angst. Einige Trotzköpfe sind nicht mehr. Junge Schwule sterben länger. Die Alten haben es schwerer, Blabla, er kennt die Sprüche. Falten am Arsch. Die Backen hängen, alles hängt, das Kinn, der Bauch, das Zipfelchen Lebensqualität in der Hose. Mit Geld ist es einfacher. Wird aber nicht reichen, wenn's so weitergeht. Egal jetzt. Er grinst Tobbi an, klopft sich mit der Faust aufs Herz, kichert, sagt: "Bummbumm. Schön, dass Du da bist, Kumpel. Geh'n wir noch ins Ché?" Tobbi drückt die Bierdose zusammen, sieht auf die Uhr, nickt. "Muss erst noch Sabine anrufen." Siggi verzieht das Gesicht, mag die Zicke nicht. Arrogante Akademikerdoofe. Schweigt aber, wartet. Sein Kopf flüstert "Bussitussi". Er lässt ein zweites Bier zischen, versucht zu rülpsen, wie Männer es tun. Klingt nach Bäuerchen. Klappt gar nix. Denkt er müde. Dann. "Holen wir uns vorher noch einen runter? Hab' Ouzo auf Lager." Tobbi leckt an einem weiteren Blättchen, fixiert ihn kurz, hat große dunkle Augen, verzieht die Mundwinkel. "Wenn Du da hinten bleibst. Wirf' die Mösen rein." Siggi gluckst kurz, wimmert niedlich. "Und ich, amigo? Zeig' mir Deine Wolle. Nur gucken." Tobbi gähnt, zeigt dunkle Füllungen in den Backenzähnen, fährt sich mit der Zungenspitze über die vorderen weißen, streift sich gönnerhaft das Shirt über den Kopf. Spannt die Muskeln und schenkt Jung-Siegfried seine Schokolade. Gibt Sahne drauf. Streicht sich über die Brust, durch die eisgrauen Locken, kommt sich albern vor und genießt trotzdem. "Hier, Du Arsch."

Siggi lässt die Lider schwer werden, spielt mit den Fingern seines Hirns, braucht die weiteren zehn für später. Ist entzückt. Salz auf den Lippen. Pelz auf der Haut. Ein wahrer Freund. Ein guter Tag.


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