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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Sie hatte keine Liebe mehr

© Wolfgang Scholmanns


Jetzt war schon Dienstag, und Samstag hatte ich sie das letzte Mal gesehen. In letzter Zeit hatte ich auch irgendwie das Gefühl, dass sie sich immer mehr zurückzog. Was war nur los mit ihr? Ich erinnerte mich an Gespräche zwischen uns, die erst eine Woche zurücklagen und in denen sie mir mitteilte, dass es wunderschön mit uns wäre und dass sie sich nie mehr von mir trennen möchte. Doch am letzten Samstag hatte ich das Gefühl, dass sie sich verändert hatte. Es war nicht mehr so innig und liebevoll zwischen uns. Sie suchte einen gewissen Abstand und als ich sie fragte, was denn los wäre, sagte sie : " Es ist alles in Ordnung."
Es war im Juli des letzten Jahres, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind. In einem Musik- und Kulturcafe fand ein Literaturabend statt. Als Mitinitiator dieser Veranstaltung leitete ich den Abend mit einer kleinen Begrüßungsrede ein und sprach dann noch einige Sätze über die Bedeutung des Wortes in der Gedankenwelt des Dichters. Freunde und Bekannte trugen im Anschluss an meine Rede Gedichte und Kurzgeschichten vor, und der Abend entwickelte sich zu einem gemütlichen Beisammensein.
Als ich meinen Blick durch das Publikum schweifen ließ, blieb er auf einmal bei einer wunderschönen Frau hängen. Sie saß an der Theke und lauschte aufmerksam den Beiträgen der vortragenden Autoren. Meinem Freund Frank fiel es auf, dass ich meinen Blick nicht mehr von ihr wenden konnte. Lächelnd gab er mir einen kleinen Stoß und fragte: "Na, gefällt sie dir?" Ich nickte: "Ja, sie hat irgendetwas, das mich magisch anzieht." "Nun übertreib mal nicht." meinte Frank.
Der Abend ging zu Ende, und als die meisten Gäste gegangen waren, beschloss ich, mich nun auch auf den Heimweg zu machen. Ich verabschiedete mich und ging Richtung Ausgangstüre. Als ich auf diesem Weg an ihr vorbeikam, trafen sich unsere Blicke und ich sah in ein wunderschönes Augenpaar, das im Schimmer flackernden Kerzenlichtes sofort das Innerste meines Herzens berührte. "Auf Wiedersehen Wolfgang", sagte sie.
Ich stutzte. Woher kannte sie meinen Namen? Ach ja, ich hatte mich ja zu Beginn der Begrüßungsrede vorgestellt. Etwas verlegen verabschiedete ich mich mit einem kurzen Kopfnicken bei ihr und verließ das Cafe.
Auf dem Nachhauseweg musste ich immerzu an sie denken. Selten hatte mich ein weibliches Wesen so sehr beeindruckt. Dabei wusste ich doch gar nichts von ihr. Es war einfach da, dieses Gefühl. Liebe auf den ersten Blick. "Na, dann scheint es so etwas wohl doch zu geben", sagte ich zu mir und schmunzelte.
Dieser Abend war nun der Auftakt zu einem "Liebesszenario", welches all meinen Glauben an Liebe, Gefühle und Vertrauen in Frage gestellt hat.
Wir sahen uns jetzt häufiger in diesem Kulturcafe, und nach einigen Gesprächen die wir miteinander führten, stellten wir fest, dass wir so einige gemeinsame Interessen hatten. Konzertabende oder Ausstellungen, die wir besuchten, die gemeinsamen Spaziergänge, dies alles ließ uns immer mehr zusammenwachsen.
An irgendeinem Abend jedoch, kam der erste Niederschlag. Sie sagte mir, dass sie deutlich spüre wie sehr ich sie liebe, sie dieses aber nicht erwidern kann, da sie vor einigen Jahren von einem Mann so enttäuscht worden sei, dass sie dieses Gefühl nicht mehr entwickeln könne. Er war ihre große Liebe, und sie hätte alles für ihn getan. Einige Male hatte er sie mit anderen Frauen betrogen, doch sie schaffte es nicht sich von ihm zu trennen. Als er dann plötzlich aus der gemeinsamen Wohnung auszog, nahm sie sich vor keine Beziehung mehr einzugehen. Von Trauer Verzweiflung und Angst gequält spürte sie, wie die Liebe nach und nach in ihr starb. Nach diesen Worten verabschiedete sie sich von mir und ging.
Ich schluckte und mir hatte es die Sprache verschlagen. Hatte ich doch das Gefühl gehabt, dass sie etwas für mich empfinden würde, starben nun alle Träume in mir. Ich machte mich auf den Heimweg und musste über eine Passage aus Erich Fromms Buch - Die Kunst des Liebens - nachdenken.
Nicht als ob man meinte, die Liebe sei nicht so wichtig. Die Menschen hungern geradezu danach. Sie sehen sich unzählige Filme an, die von glücklichen oder unglücklichen Liebesgeschichten handeln. Sie hören sich Hunderte von kitschigen Liebesliedern an, aber kaum einer nimmt an, dass man etwas tun muss, wenn man es lernen will zu lieben.
Na ja, wenn es dann eine Kunst ist, und man will diese Kunst beherrschen, sollte man keine Mühe scheuen um sein Ziel zu erreichen. Aber vielleicht ist die Liebe auch nur eine angenehme Empfindung, die man rein zufällig erfährt, etwas was einem sozusagen in den Schoß fällt, wenn man Glück hat.
Mein Schädel brummte und ich hatte keine Lust mehr über all diese Dinge nachzudenken. Traurig und enttäuscht legte ich mich ins Bett.
Monate vergingen und ich fühlte, wie es in meinem Seelenleben wieder bergauf ging.
An einem Abend im Februar, traf ich sie dann wieder. Ich setzte mich zu ihr, und wir plauderten ein wenig über Literatur. Irgendwann mitten im Gespräch, stand sie auf, zog ihre Jacke, an gab mir einen zärtlichen Kuss und teilte mir, bevor sie das Cafe verließ ganz beiläufig mit, dass sie am Samstag Geburtstag hätte und sie sich wünsche, dass ich an diesem Tag zu ihr nach Hause kommen würde. Ihre Familie wäre da, und sie wolle mich ihr vorstellen.
Ich war überrascht und dachte über ihren plötzlichen Sinneswandel nach. Ist es nicht so, dass die meisten Menschen das Problem der Liebe in erster Linie als Problem selbst geliebt zu werden sehen, statt zu lieben und lieben zu können? War diese Einladung für sie ein Mittel sich liebenswert zu machen? Aber nein, sie hatte mir ja mitgeteilt, dass sie es deutlich spüre wie sehr ich sie liebe.
Wie auch immer, ich wollte es noch einmal versuchen, würde die Einladung annehmen und es einfach darauf ankommen lassen, was mich erwarten würde.
Der Samstag kam, und mit ihm ein wenig Angst vor dem, was am heutigen Tag auf mich zukommen würde. Ein mulmiges Gefühl stieg in mir auf, als ich den Klingelknopf an ihrer Haustüre betätigte. Aber dieses Gefühl verschwand sofort wieder, als ich vor den Augen ihrer Gäste zärtlich von ihr geküsst und ihnen als ihr neuer Freund vorgestellt wurde. Den ganzen Abend war sie bei mir, hielt meine Hand und lehnte ab und zu liebevoll ihren Kopf an meine Schulter. Der Bann war gebrochen. Sie hatte zu mir gefunden, wollte lernen neu zu lieben, und mit mir glücklich werden. Dies alles teilte sie mir an diesem Abend mit.
In den nächsten Wochen, schien es mir als würde unsere Liebe in den Himmel wachsen und Glücksgefühle die ich lange nicht mehr gespürt hatte stiegen in mir auf. Ich lud sie zu mir nach Hause ein und machte ihr Lieblingsessen, wir lachten vergnügt als wir die ersten Sonnenstrahlen bei einem Kaffee auf der Terrasse auf unserer Haut spürten, unternahmen Spaziergänge, besuchten Freunde und sagten uns immer wieder wie schön es doch sei, dass wir zueinander gefunden hätten.
Dies alles geschah in den letzten zwei Monaten.
Mir ging dieser Samstagabend nicht aus dem Kopf. Warum verhielt sie sich so zurückhaltend?
Während ich über ihr Verhalten nachdachte, klingelte plötzlich das Telefon. Ja, sie war es, aber die Freude die mich als ich den Klang ihrer Stimme hörte empfand, schlug schon nach einigen Sätzen in Enttäuschung und tiefe Traurigkeit um. Wieder diese Worte, sie könnte nicht mehr lieben, es wäre immer nur ein kurzes Aufflackern aber wenn sie dann zu Hause wäre, käme immer wieder die Angst vor einer neuen Beziehung zurück. In der letzten Zeit hätte sie wieder deutlich gespürt, wie sehr ich sie liebe aber in ihr könne sich dieses Gefühl wohl nicht mehr entwickeln. Sie würde wohl weiterhin meine Nähe und die Unternehmungen mit mir genießen, doch müsste ich meine Erwartungen ein ganzes Stück zurückstellen.
Kurz entschlossen gab ich ihr zur Antwort, dass ich so nicht leben könne weil ich mir mit ihr so sehr eine Liebesbeziehung gewünscht hätte und dass es besser wäre wenn wir uns nicht mehr wiedersehen würden! Eine Weile war es still, bis sie dann sagt: "Tut mir Leid"! Ich legte voller Verzweiflung den Hörer auf.



Eingereicht am 11. Mai 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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