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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Ganz schön mutig!

© Mariana Quazzola


"Du darfst eine Person mitnehmen", hatte Herr Skala zu Anja gesagt.
Und so kam es dass, Anja und Philipp vier Wochen später mit Anjas Eltern an der Nordsee Urlaub machten.
Gleich am ersten Tag gingen sie zum Strand. Es war rote Flagge und es gab sehr hohe Wellen. Dennoch waren ein paar Leute im Wasser. Unter anderem auch Anja und Philipp. Anja liebte Aufregendes und Abenteuer. Philipp war eher das Gegenteil. Er mochte zwar auch Abenteuer, aber bei so hohen Wellen bekam er ein wenig Angst.
"Cool!", rief Anja und tauchte durch die nächste Welle. Als sie wieder auftauchte sagte sie zu Philipp: "Das musst du auch mal machen! Ist echt voll cool!"
Aber Philipp hörte nicht auf sie. Er war kreidebleich im Gesicht.
"Philipp! Was ist los?", fragte ihn Anja.
"Da!" Philipp zeigte ins offene Meer, Schau mal die hohen Wellen!"
Anja drehte sich um. Da erstarrte sie ebenfalls. Ihr Mund klappte auf. Riesige Wellen kamen auf sie zu! "Cool, so was hab ich noch nie gesehen!", sagte sie zu Philipp.
"Das ist nicht cool, Anja! Überhaupt nicht!"
Der Bademeister schien die Wellen auch bemerkt zu haben.
Er rief: "Alle Leute, ich wiederhole alle Leute sofort raus aus dem Wasser! Sofort!"
Philipp zog Anja mit sich mit. "Los, rief er, schnell!"
"Mama! Mama!", schrie ein kleiner Junge wie am Spieß. Anja drehte sich um. Sie sah wie eine Frau versuchte an den Jungen zu kommen. Doch der Bademeister hielt sie fest. Er sagte etwas, das Anja nicht verstehen konnte. "Aber mein Sohn!", schrie die Frau. Der Bademeister sagte etwas und gestikulierte wild. Dann versuchte er zum Jungen zu gehen. Doch schon dort (wo der Bademeister war), war die Strömung zu stark.
"Er wird es nie schaffen", dachte Anja. "Aber ich, ich könnte es schaffen", überlegte sie. "Wenn ich schräg in Richtung Strand gehe."
"Anja", rief Philipp, "komm jetzt!"
Anja riss sich von ihm los und ging in die Richtung des Jungen.
"Anja!", schrie Philipp, "spinnst du???"
Sie blieb stehen. Sie biss sich auf die Lippen. "Was soll ich bloß tun?", fragte sie sich. Sie guckte zu Philipp, dann zum kleinen Jungen. Es war die schwierigste Entscheidung, die sie bis jetzt hatte treffen müssen. "Na gut, dachte sie, dann spinn ich eben". Sie kämpfte gegen die Wellen. Sie kam sehr langsam voran.
"Anja! Komm zurück!", rief Philipp.
Doch sie hörte nicht auf ihn. Weder auf ihn noch auf ihre Eltern, die vom Strand aus nach ihr riefen.
"Du da!," rief der Bademeister, "geh sofort raus! Das ist zu gefährlich!"
"Nicht auch noch der!", dachte Anja. Sie biss die Zähne zusammen und kämpfte sich weiter zum Jungen hin. Die Wellen wurden immer stärker.
"Der Junge wird es nicht mehr lange aushalten", wurde es Anja klar. Sie bemerkte einen Felsen, nicht weit weg vom Jungen.
"Halt dich am Felsen fest!", rief sie dem Jungen zu.
Der Junge drehte sich um und ging in Richtung Felsen. Er hielt sich am Felsen fest.
Anja hatte den Jungen fast erreicht. Sie streckte ihren Arm aus. Genau in diesem Moment kam eine hohe Welle. Sie tauchte Anja und den Jungen unter.
"Neeeiiiin!", dachte Anja. Sie riss sich zusammen. Zum ersten Mal in ihrem Leben öffnete sie die Augen unter Wasser.
"Autsch!", dachte sie. Ihre Augen brannten, doch sie bemühte sich, sie nicht zu schließen. Sie sah überhaupt nichts. Nur Sand, der herumgeschleudert wurde von den Wellen. Sie kniff die Augen zusammen. Nach und nach erkannte sie die Gestalt des Jungen. Sie tauchte zu ihm hin. Sie bekam keine Luft mehr. Mit letzter Kraft fasste sie den Jungen am Arm und zog ihn zu sich. Sie tauchten auf.
Der Junge spuckte Wasser aus und hustete. Anja holte tief Luft. Sie war am Ende ihrer Kräfte. "Anja", sagte sie zu sich selbst, "du darfst jetzt nicht aufgeben!" Sie bemühte sich, nicht wieder untergetaucht zu werden.
Plötzlich fing der Junge an zu schreien.
"Was ist?", fragte Anja.
Der Junge antwortete nicht. Er schrie weiter.
Anja drehte sich um. Ihre Augen weiteten sich. Eine riesige Welle näherte sich ihnen.
"Neeeiiin!", schrie Anja.
Die Welle hatte sie fast erreicht. Der Junge krallte sich an sie fest.
"Atme tief ein!", sagte Anja schnell noch zum Jungen.
Dann kam auch schon die Welle. Sie wurden untergetaucht. Anja hatte keine Kraft mehr. Sie wurde herumgeschleudert.
"Jetzt ist alles zu Ende", dachte sie. Sie spürte wie sich der Junge an sie klammerte. "Oh nein, es tut mir ja so Leid, dass ich dich nicht retten konnte!", sagte sie in Gedanken zum Jungen.
Da zog sie eine starke Hand aus dem Wasser. Es war der Bademeister. Die Welle hatte sie bis zum Bademeister gebracht! Er brachte sie aus dem Wasser raus. Anja legt sich auf den warmen Sand. Sie atmete tief ein.
Alle standen um sie rum: Philipp, ihre Mutter, ihr Vater, der Bademeister und die Mutter des kleinen Jungen (in ihren Armen hatte sie den Jungen).
Philipp kniete sich hin. "Oh Mann!", sagte er, "Das war ganz schön mutig!" Er beugte sich zu Anja runter.
Anja lächelte ihn an. Er biss sich auf die Lippen.
"Ich mag dich", flüsterte er Anja ins Ohr.
Sie lächelte. Es war der schönste Moment in ihrem Leben.
"Wie kann ich dir nur danken?", fragte die Mutter des kleinen Jungen.
Anja überlegte. "Indem Sie ihren Sohn nie mehr alleine im Wasser lassen!", sagte sie schließlich.
Alle lachten.



Eingereicht am 12. März 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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