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Geklautes landet weich

Yue-Ying


Die Regenbogenfarben schimmern bunt und wunderschön im Gesicht des Mädchens, das mich gerade mit ihren großen, braunen Augen vertieft anschaut. Ja, es ist wahrlich schön, als ein besonderer Stein, oder besser ein Kristall, oder noch besser ein Diamant, in diesem renommierten Museum als hochwertiges Gestein von vielen täglichen Besuchern bewundert zu werden. Die Menschen sind völlig anders als ich. Als Stein bleibt mir Vieles an lästigen Sorgen erspart. Ich brauche keine Kleidung, die bei den Menschen in der Hitze an den Leibern kleben. Das Essen-Und-Trinken-Nicht-Nötig-Haben, machen mich zum unabhängigen Wesen in diesem Universum. Aber dennoch gibt es die traurige Seite im Diamantenleben, denn Vorteile haben das Gemeine an sich, dass sie auch Nachteile mit sich bringen. Als Diamantwesen bin ich gefesselt in diesem Museumsraum. Die grellen Scheinwerfer blenden mich Tage und Nächte lang und ich leide an Schlaflosigkeit, durch die grausame Helligkeit hier.
Zu meinem traurigen Dasein gehört auch noch, dass ich als durchsichtiger, wertvoller Diamant weder mich fortbewegen kann, noch einen Laut von mir geben kann. Meine Emotionen bleiben dem Menschen für immer im Verborgenen.
"Quält keine Tiere", heißt es und "Schützt Pflanzen vor der Aussterbung", sagen Menschen. Warum bleiben Steine so außer Acht? Ist das nicht eine Frechheit? Ich habe Grund. Grund für meine Trauer und Grund für die Worte, die ich gerade von mir gebe (die von keinem gehört werden, denn Steine hört keiner). Jedenfalls hocke ich nun hier, umgeben von den Museumsgästen und umgeben von einer hochsensiblen Alarmanlage, die bei dem kleinsten Kratzer der Scheibe, die mich von der Menschheit trennt, losheult. Momentan spricht vor meinen Augen der Präsident mit dem Verteidigungsminister über die politische Affaire im Jahre 2003. Auch solche Menschen gehören zu meinen Besuchern, doch haben sie solche Steine wie mich schon so oft gesehen, dass sie mir keines sonderlich großen Blickes würdigen. Lieber unterhalten sich jene Menschen über Politik oder andere Themen. Viel zu erleben gibt es dennoch immer, denn ein oder andere Besucher lassen sich immer etwas einfallen um mir den eigentlich monotonen Leben ein wenig Witz zu verleihen.
Das Mädchen, das mich am Anfang der Geschichte angeschaut hat, hat mir nun den Rücken zugekehrt. Wie gerne wäre ich manchmal ein Mensch! Ich würde ihr einen Heiratsantrag machen.
Bald sind die Öffnungszeiten vorbei. Draußen werden die Lichter ausgeschaltet und Ruhe kehrt ein, während dieser Museumsraum mit seinem weichen, teuren Teppich und den Holzverzierungen in der stillen Nacht ruhen.
Nun liege ich hier auf meinem gemütlichen Wattestückchen und werde von dem Licht, das mich wie 2 Wächter bestrahlen, genervt. Aber war da eben nicht ein Schatten? Mein Herz klopft lauter. Ich spitze meine Ohren und lausche wie ein Hase. Ein schwarz maskierter Mann taucht vor meinen Diamantenaugen auf. Mir rieselt ein kalter Schauer über den Rücken. Ich weiß, was er will.
Er möchte mich haben! Meine Beine bibbern unter diesem tiefen Gefühl der Verzweiflung. Was soll ich denn machen? Ich kann nicht weglaufen! Wie kommt der Mann nur herein?!!?? "Bitte, nimm' mich nicht", bete ich, kreische ich, aber die stummen Schreie vernimmt er nicht. Mit einem grausigen Blick voller Gier starrt er mit blutunterlaufenen Augen und Speichel fließenden Mund auf mich. Mein Magen dreht sich um. Sein Hammer nähert sich dem Glas und mit einem lauten, ohrenbetäubenden Klirren, regnen die Scherben nur so auf mich herab. Ich werde unter den Scherben vergraben, und höre erst jetzt die Sirene heulen. Ich fluche und schimpfe vergebens auf die miesige, moderne Technik, auf die kein Verlass ist. Fast in Zeitlupentempo sehe ich, wie ein dunkles Loch auf mich zukommt. Ich stürze tief hinein und lande in einem schwarzen Beutel - der Beutel des Täters.



Eingereicht am 17. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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