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Kurzgeschichte Afrika Kurzgeschichten
Erzähl mir was von Afrika. Band 1. Dr. Ronald Henss Verlag   ISBN 3-9809336-2-8  ca. 150 Seiten   8,90 Euro.

Meine Familie in Namibia

©  Micheline Holweck


Ich saß noch lange auf dem Schemel neben dem Telefontisch und hielt den Hörer an die Brust gedrückt. Es konnte doch einfach nicht sein, es durfte nicht wahr sein. Der deutsche Konsul in Namibia hatte mir eben mitgeteilt, dass mein Sohn Manfred mit einem kleinen Flugzeug in der Namib-Wüste abgestürzt sei. Tot. Ich krümmte mich vor Schmerz, erinnerte mich daran, als Manfred geboren wurde, zur Schule ging, seine Karriere als Fotograf startete und seine Frau Flora heiratete. Somit blieben mir nur noch die Erinnerungen.
Manfred war seit 8 Jahren mit Flora verheiratet. Kinder hatten sie nicht, sie kamen einfach nicht. Irgendwann hatten sie die Hoffnung aufgegeben und akzeptierten ihr Leben ohne Nachwuchs. Flora und Manfred führten eine ruhige Ehe und mein Sohn war oft monatelang in Afrika, um Dokumentarfilme über Tiere zu drehen.
Nach dieser Schreckensnachricht konnte ich kaum noch schlafen und wenn ich Schlaf fand, träumte ich immer und immer wieder denselben Traum: Ein Kind rannte mir entgegen und streckte seine Arme nach mir aus. Meine Schwiegertochter und ich reisten zusammen nach Namibia.
Der Konsul überreichte uns eine Schachtel, welche die Habseligkeiten von Manfred enthielt. Es befand sich auch ein Testament darin. Er wünschte sich, in Namibia begraben zu werden. Weiter fanden wir auch Kinderzeichnungen und ein Foto eines Mädchens mit dunkler Hautfarbe, ungefähr 5 Jahre alt. Meine Schwiegertochter wünschte sich, die Fotokamera und die goldene Halskette als Andenken an ihren Mann behalten zu können. Gerne überließ ich ihr diese beiden Erinnerungsstücke und steckte die Zeichnungen und das Bild des Mädchens ein. Irgendwie musste ich immer wieder an meine Träume vor meiner Abreise nach Namibia denken. Im Hotelzimmer studierte ich das Gesicht des Mädchens genauer. Suchte nach Ähnlichkeiten mit meinem Sohn. Ich konnte mich von dem Gedanken nicht trennen, dass mein Sohn der Vater dieses Kindes war.
Meine Schwiegertochter reiste nach der Beerdigung zurück nach Deutschland. Ich wollte noch etwas bleiben, es war das erste Mal, dass ich in Namibia war und ich wollte das Traumland meines Sohnes besser kennen lernen. Chris, ein guter Freund von Manfred anerbot sich, mir die Sehenswürdigkeiten von Namibia zu zeigen. Wir besichtigten Damaraland, Walfischbai, die Etoschapfanne, und den Caprivizipfel. Ich wollte mehr erfahren, wie das Leben von Manfred hier in Namibia war. Wollte verstehen, was ihn denn so bezaubert hatte. Chris erzählte mir von den Unternehmungen mit Manfred. Von den Filmaufnahmen, den Tieren und den Menschen, welche sie während ihren Arbeitsreisen getroffen hatten. Ich erkundigte mich, wo mein Sohn denn wohnte, wenn die Dreharbeiten monatelang dauerten. Ob er wohl eine Freundin hatte? Dann zeigte ich Chris das Bild des Mädchens, doch Chris wusste nichts. Er sah dieses Foto zum ersten Mal.
Wir übernachteten in einem Camp in Sangwali, östlich vom Mamili Nationalpark. Als ich am Nachmittag in mein Zimmer trat, traf ich die Saubermachfrau an, wie sie ein Foto, welches ich auf dem Tisch liegengelassen hatte, in der Hand hielt. Sie erschrak und legte das Foto sofort wieder auf den Tisch zu den anderen Bildern. Ich erkannte, dass es das Bild meines Sohnes war. Mir war klar, dass sie meinen Sohn kannte. Erst musste ich sie etwas beruhigen und dann erzählte sie mir, was sie wusste. Sie hatte ihn oft hier gesehen, dann aber hieß es, dass er eine Wohnung in Windhoek gemietet habe und dass eine schwarze Frau bei ihm wohnte. Mehr wusste sie nicht.
Somit reiste ich am nächsten Tag ab, nach Windhoek. Ich fragte mich dort durch, bis ich die Wohnung fand, welche mein Sohn gemietet hatte. Der Vermieter war froh mich zu treffen, da ihm mein Sohn noch 3 Monate Miete schuldete. Er erzählte mir von der schwarzen Frau, welche krank war, und meistens in der Wohnung blieb. Sie hatte ein Mädchen. Ich zeigte ihm das Foto und er erkannte das Kind sofort wieder. Als mein Sohn nicht mehr nach Hause kam, da er verunfallt war, wusste die Frau nicht, was geschehen war. Doch sie musste aus dem Haus, da der Vermieter nicht auf die Miete verzichten wollte. Soviel er wisse, sei sie zu einer Freundin gezogen, in der Nähe der Grenze zu Botswana, in der Region Caprivi. Ich fragte ihn, ob er ihren Namen kenne. "Sie nannte sich Mary. Weiss aber nicht, ob das ihr richtiger Name ist", antwortete er.
Chris organisierte mir ein Flugbillet mit Air Namibia nach Katima Mulilo, im Norden Namibias und buchte dort einen Jeep-Mietwagen. Zwei Tage später reiste ich los. Am Zielflughafen nahm ich den Jeep in Empfang. Ich musste mich etwas daran gewöhnen, dass in Namibia Linksverkehr herrscht. Nach rund zwei Stunden Fahrt kam ich in Ngoma an. Die Einwohner meinten erst, ich hätte mich verfahren. Ich erklärte ihnen, wen ich suche und sie konnten mir tatsächlich helfen. Mary war zwei Dörfer weiter gegen Osten. Ein junger Hirte erklärte mir, er werde mich begleiten. Da er einen sehr netten und seriösen Eindruck machte, willigte ich ein und öffnete ihm die Wagentüre. Wir fanden das Haus von Mary. Ich klopfte an, eine jüngere Frau öffnete die Türe und bat mich einzutreten. Dankend verabschiedete ich mich vom Hirten und trat in die halbdunkle Hütte. An der Wand stand ein Bett, wo eine Frau lag und mich mit großen Augen anblickte. Ihr Gesicht war eingefallen und die Backenknochen standen stark heraus. Ich erzählte, dass ich die Mutter von Manfred war und auf der Suche nach der Frau sei, welche mit meinem Sohn gewohnt hatte und ein Mädchen habe. Sie wollten wissen, wo Manfred sei und Mary brach in Tränen aus, als sie hörte, dass er tot war. Dann erzählte sie mir ihre Geschichte:
Vor vier Jahren kam Manfred hier ins Dorf. Er kam von Botswana, wo er im Chobe-Nationalpark eine Reportage über Elefanten gedreht hatte. Da er hohes Fieber hatte, konnte er nicht weiterreisen und musste hier im Dorf bleiben. Einen Doktor gab es nicht, doch Mary nahm ihn ins Haus und pflegte ihn monatelang, bis das Malaria-Fieber seinen Körper verließ und er wieder zu Kräften kam. So schlossen sie Freundschaft. Manfred besuchte Mary immer, wenn er in der Gegend war. Manchmal nahm er sie und ihre Tochter Milly mit auf seinen Reisen durch Namibia. Doch zwischen Manfred und ihr sei nie mehr als tiefe Freundschaft gewesen. Dann, vor zwei Jahr brach bei Mary Aids aus und es ging ihr sehr schlecht. Aids-Medikamente gab es hier im Busch keine. Manfred brachte sie nach Windhoek, mietete eine Wohnung und organisierte einen Arzt und eine Krankenschwester, welche Mary pflegten. Es ging ihr somit etwas besser, doch die Krankheit schritt voran.
In diesem Moment öffnete sich die Türe der Hütte und ein dunkles Mädchen mit einem rosaroten Röckchen bekleidet trat ein. Sie hatte krauses, schwarzes Haar und kugelrunde, wache Augen. Ihr fröhliches Lachen war ansteckend. "Dies ist meine Tochter Milly", stellte mir Mary das Mädchen vor. Genau wie auf der Fotografie, und dazu hatte sie eine so glückliche Ausstrahlung, dass mich der Anblick gefangen nahm. Doch schwupp, war sie schon wieder zur Türe hinaus verschwunden.
Mary fuhr fort zu erzählen:
"Mir ist schon lange klar, dass ich sterben werde. Angst vor dem Tod habe ich nicht, doch weiß ich nicht, was aus meiner Tochter werden soll, wenn ich nicht mehr bin. Der Vater von Milly ist schon vor der Geburt abgehauen. Manfred versprach mir, dass er für das Kind sorgen werde. Wir hatten auch schon alle notwendigen Unterlagen beim Anwalt. Doch, nun lebt Manfred nicht mehr und ich weiß nicht wie es weitergehen soll". Mary begann zu schluchzen und zu jammern.
Ich wurde eingeladen, im Haus von Mary und ihrer Freundin zu übernachten. Wir aßen alle zusammen das Nachtessen. Als ich am nächsten Morgen erwachte, setzte ich mich zu Mary und erzählte ihr von meiner Idee: "Ich habe Manfred, mein einziges Kind verloren, bin nun in Namibia und habe dieses wunderschöne Land kennen gelernt. Du hattest meinem Sohn dazumal das Leben gerettet und er hatte dich und deine Tochter sehr gern. Somit möchte ich gerne im Sinne meines Sohnes dir den Vorschlag machen, dass ich mich deiner Tochter annehme. Ich würde dies sehr gerne machen. Damit du alle nötigen Kuren und Medikamente bekommst, werde ich uns eine Wohnung in Windhoek organisieren. Ich müsste nur für ungefähr zwei Wochen nach Deutschland, um alle meine Sachen zu regeln. Dann wäre ich bereit, für meinen neuen Lebensabschnitt in Namibia."
Mary schaute mich mit großen Augen an und umarmte mich innig. Wir besprachen alles und ich reiste ab, nach Windhoek. Dort besuchte ich den Anwalt und er versprach mir, dass die Dokumente sofort erstellt würden. Und zudem würde er sich für eine Wohnung für mich und meine neue Familie umsehen.
Nach drei Wochen war ich wieder in Namibia. Ich hatte meine Wohnung in München mitsamt den Möbeln vermietet und mein Hab und Gut auf das Nötigste reduziert. Die Kisten sollten in den nächsten Monaten in Namibia eintreffen. Chris begleitete mich ins Dorf zu Mary. Sie war in einem ziemlich schlechten Zustand, hatte kaum die Kraft in den Jeep zu steigen. Milly begrüßte mich herzlich. Und ich war froh, diese Entscheidung getroffen zu haben. Der Inlandflug nach Windhoek war sehr anstrengend für Mary. Am Tage nach unserer Ankunft in unserem neuen Daheim schaute der Arzt bei uns vorbei. Er stellte fest, dass die Krankheit schon sehr weit fortgeschritten sei und die Medikamente nicht mehr viel bewirken können. Er verschrieb ihr trotzdem ein paar Tabletten.
Mary erzählte mir alles über Milly, alle Erinnerungen an die ersten Lebensjahre, damit Millys Vergangenheit nicht verloren ging. Unsere gemeinsame Liebe für Milly und meinen Sohn Manfred verband uns sehr. Wir wurden gute Freundinnen. Drei Monate später starb Mary, friedlich in ihrem Bett, ich war bei ihr.
Milly wächst heran und ist das fröhliche und hübsche Mädchen geblieben, so, wie ich sie in der Hütte dazumal kennen gelernt hatte. Sie ist eine gute Schülerin und hat sehr viele Freundinnen. Wir unternehmen vieles miteinander, scherzen, lachen und ärgern uns zusammen. Ich bin glücklich und stolz, Milly als meine Tochter zu haben. In ihr leben Mary und Manfred weiter. Es kommt mir manchmal so vor, als hätte ich zwei Leben in einem Leben geführt.



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