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Kurzgeschichte Kurzgeschichten Afrika

Vierbeinige Staubwolken

©  Pia Helfferich


Vor dem Hotel knirschen die Reifen der Jeeps im Kies, ihre Scheinwerfer schneiden weiße Fenster in die Dämmerung.
Nachdrücklich schaukeln ihre Holzohrringe.
"Ich will aber nicht am Pool bleiben. Ich will endlich Gazellen sehen." Ihre Stimme füllt mühelos die Lobby. "Andy sagt, heute treffen wir sie ganz bestimmt."
"Haben die bei ihm angerufen? Was ein australischer Student von den Big Five versteht, sehen wir jeden Tag. Nichts!"
Damit stößt Leon die Glastür auf und sie treten zu den anderen Gästen vor das Hotel. Die Jeeps fahren mit dem Küchenpersonal davon.
Unter seinem weißen Sonnenhut, dem ihm fast bis auf die Schultern reicht, wogt Van Merwyck auf sie zu und gibt Leon einen Stoß gegen die Schulter.
"Heute kommen uns die Biester vor die Linse. Haben Sie nicht auch ein gutes Gefühl?"
Melanie antwortet für ihn: "Mein Mann ist ganz verrückt danach Elefanten zu riechen."
Van Merwyck entlässt ein polterndes Lachen in die Dämmerung und schlägt noch mal auf Leons Schulter ein.
"Nehmen Sie sich einen Eimer mit, dann können Sie den Dung konservieren."
Als sie auf die Ladepritsche des Kleinlasters klettern, der im Prospekt zugunsten der Jeeps nicht abgebildet war, umschließt bereits eine ölige Emulsion aus Sonnencreme und Schweiß Leons Haut.
Schnell saugt die Sonne die sepiafarbenen Schatten auf. Ockerhügel und sattgrüne Baumgruppen formen den Horizont. Gespannt wie eine Feder kniet Melanie auf ihrem Sitz, als sei sie jederzeit bereit, sich mit bloßen Händen auf einen Löwen zu stürzen.
"Das gibt wieder nix", sagt Leon laut. Böse Blicke prasseln von allen Seiten auf ihn ein.
"Du bist so ein Pessimist", sagt Melanie ohne den Blick von der Landschaft zu wenden. Leon wischt sich mit einem Taschentuch über das Gesicht und lauscht in seinen Bauch hinein, ob dort nicht ein Ziehen und dunkles Grummeln beginnt - des Abenteurers Leiden. Stille.
Ein vielstimmiger Aufschrei. "Daaaaaaa!" Leon schreckt hoch. Hunderte Meter entfernt galoppiert eine Staubwolke auf vier Beinen. Hände zeigen nach vorn. Hände grapschen nach Kameras. Es klickt, sirrt, klickt, summt. Leon hält links ein Fernglas, rechts den Fotoapparat. Kann sich einen Moment lang nicht entscheiden.
"Mach doch!" kreischt Melanie.
Leon drückt ab, ein Ellbogen stößt in seinen Rücken. Melanie schaut auf die Stelle, an der die Staubwolke verschwunden ist.
"Hast du die geschwungenen Hörner gesehen?"
Van Merwyck mischt sich ein: "Das war ein Löwenweibchen. Trächtig vermutlich."
Melanie hört ihn gart nicht.
"Siehst du, es hat sich doch gelohnt."
Van Merwyck entscheidet sich für die Zigarette danach.
"Wo haben Sie denn so eine Kamera herbekommen?"
Leon rutscht auf seinem Sitz hin und her und bedeckt das schwarze Gehäuse mit seinen Händen.
"Das war so ein Schnellkauf vor den Ferien bei Woolworth. Die gute Kamera haben wir zu Hause gelassen, die wäre hier bestimmt sofort geklaut worden."
Van Merwyck nimmt ihm den Apparat aus der Hand und hält ihn prüfend hoch.
"Vierzig Euro, würde ich sagen."
Melanie ist noch immer nicht ansprechbar. Van Merwyck redet auf Holländisch mit seiner kleinen, blonden Frau, die ihm abwechselnd Brötchenhälften und Cola reicht. Den Blick fest auf den Horizont gerichtet, lauscht Leon ihrem Gespräch Brocken ab, die wie "Kamera" klingen. Frau van Merwyck lacht. Leon tritt gegen die Wand der Ladepritsche und erwischt dabei Melanies Fuß. Sie schreit auf. Van Merwycks lachen beide.
Sein T-Shirt klebt am Bauch fest und die Sonne steht am Himmel wie angenagelt und will sich nicht senken. Leon konzentriert sich auf die Stille in seinem Magen, die bald in einem Tosen oder Würgen untergehen wird.
"Kommen Sie doch morgen mit uns mit." Schon wieder dieser Holländer. "Wir fahren zum Zoo in Nairobi. Das wäre bestimmt was für Ihre Frau. Da kommen Sie nah genug an die Tiere heran, um sie auch mit dieser Kamera zu erwischen." Als Leon nicht antwortet, fährt er fort. "Wir kommen schon seit Jahren hierher und donnerstags fahren wir immer in den Zoo. Schauen Sie mal."
Van Merwyck zieht ein Foto aus dem Portemonnaie, auf dem er einem ausgestopften Löwen sein rotes Gesicht in den Rachen schiebt. Neben ihm steht seine Frau mit einem Gewehr in der Hand und über beiden verkündet ein Schild "Welcome to the zoo of Nairobi".
Der Laster hält vor dem Hotel, als Leon mit dieser Möglichkeit schon lange nicht mehr gerechnet hat. Er lässt sich von der Ladefläche fallen. Melanie hüpft neben ihn. Ihren dschungelgrünen Aufzug schwärzt noch immer kein Schweißfleckchen. Sie hängt sich an seinen Arm.
"Heute Abend tanzen wir. Frau Van Merwyck hat erzählt, dass eine Musikgruppe auftritt. Original kenianische Kultur. Und morgen geht's ..."
"Ich hab keine Lust ...
Melanies Freudenschrei unterbricht ihn. Sie stürzt sich auf einen kniehohen Hund, der dazu freundlich mit dem Schwanz wedelt.
"Ist der nicht süüüß?"
"Weiß nicht."
Melanie hebt die Vorderpfoten des Hundes und sagt mit verstellter Stimme:
"Oh, der Leon hat schlechte Laune. Böser Leon."
Er beugt sich herab, schaut dem Hund in die Augen und sagt:
"Ich hab keine ..."
Der Hund knurrt und schnappt nach Leons Hand. Seine Zähne hinterlassen zwei rote Steifen auf Leons verschwitzter Haut.
Auf Melanie gestützt, die zerschrammte Hand in die Luft haltend, taumelt Leon in ihr Zimmer. Er rammt den Tisch, auf dem Melanies neue Schätze umstürzen, die Ahnenfigur, eine anderthalbohrige Giraffe, die der Verlust ihres halben Ohres besonders wertvoll macht, wie der Verkäufer versicherte, Amulette, ein Aschenbecher.
"Ich leg mich hin. Hol schon mal das Jod aus der Reiseapotheke. Und dann ein Verband"
"Wir sollten einfach ins Krankenhaus fahren. Die wissen besser, was zu tun ist und zum Tanz sind wir längst zurück."
"Du bist wohl verrückt, hier kann man doch nicht in ein Krankenhaus gehen. Die schlachten dich ab."
Er sagte nicht, als sie die Kratzer mit Jod bepinselte, der Verband geriet locker und rutschte. Sie saß neben ihm auf dem Bett.
"Möchtest du dich noch etwas ausruhen? Ich geh mal kurz zu Van Merwycks rüber. Sie wollte sich anschauen, was ich entdeckt habe."
"Pack lieber unsere Sachen. Morgen fliegen wir zurück."
"Leon", ihre Stimme überschlägt sich fast, "das ist ein Abenteuer. So was geht nicht ohne Blessuren ab."
Er wendet den Kopf ab. Sie legt ihm kurz die Hand auf den Bauch. Tätschelt.
"Ganz schön aufgebläht, du solltest es mal mit Buttermilch versuchen."
Sie stapelt sich ihre Ahnenfigur, die anderthalbohrige Giraffe, Amulette und den Aschenbecher auf den Arm und macht sich auf den Weg zu Frau van Merwyck. Unter dem Fenster parkt der Kleinbus, der die Folkloregruppe zu ihrem Auftritt ins Hotel bringt. Bald darauf hört Leon ihre Gesänge und Trommeln, Gästestimmen fallen schräg mit ein. Dann das Öffnen und Schließen der Bustüren und die Abfahrt der Kultur. Die Reifen knirschen im Kies.



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