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"Hello"

©  Hans E. Aeschlimann


Er hatte nichts zu mir gesagt, kein Wort, mich nur fragend angeschaut und gelacht. Ein frohes Kinderlachen, ansteckend, unschuldig und ehrlich. Weiße Zähne glitzerten in seinem runden, fröhlichen Gesicht. Auch seine tiefbraunen Augen lachten; sie spiegelten den morgendlichen Himmel wider und die unendliche Wildnis. Eine zerschlissene Latzhose trug er, und darauf stand nur ein Wort: "Hello" - Aber war es nicht auch eine Botschaft?
Als ich mich ihm auf einige Schritte genähert hatte, rannte er davon. Nicht hastig und nicht weit, eigentlich eher zaghaft, spielerisch, so dass ich ihm mühelos folgen konnte. Und dann versteckte er sich hinter seiner Mutter, einer schlanken, ernsthaften Frau. Beinah linkisch nickte sie zum Gruß. Überhaupt erkannte ich sonst keine Regung in ihrem mit Lehm verzierten Gesicht. Ein tiefer Schatten in den müden Augen verunmöglichte die Sicht in ihre Gedankenwelt. Ohnehin las ich in schwarzen Gesichtern kaum etwas, sie sahen sich alle so ähnlich. Verschleierter Hass und eine unendliche Wut gegen Weiße, und diese Gesetze lagen zwischen uns. Doch dies und noch vieles mehr über Südafrika, wusste ich erst später, Jahre später.
Sie rief etwas Unverständliches. Plötzlich umringte uns eine Kinderschar, ihre sechs Kinder, eine Treppe, jedes Jahr eines. Und auch ihr Mann stand da. Zwar lehnte er etwas abseits an einem Baum, abwartend, ein Hüne, aber die Finger hilflos in den Pullover eingewickelt, das Gesicht mit einer wollenen Mütze halb verdeckt - misstrauisch und nachdenklich.
"Hello" war das kleinste, ein Vorzeigekind, wie es sich alle Eltern wünschen, aber auch das einzige, das lachte. Dafür duckten sich die anderen Kinder, drei Knaben und zwei Mädchen, nicht hinter ihre Mutter. Eins nach dem anderen begrüßte mich, etwas scheu zwar. Ängstigten sie sich, wie ich einst. Damals, als kleiner Knirps schüttelte ich einem Schwarzen die Hand; was stand ich Ängste durch! Lange betrachte ich nachher meine Finger und war stark überrascht. Sie waren Weiß geblieben.
Was wussten sie über Weiße Männer? Wahrscheinlich mehr, als ich über die Schwarzen und die Mischlinge.
Nur "Hello" streckte mir keine Hand hin; er hielt sie sogar hinter seinem Rücken verborgen, als ob ich sie ihm abbeißen könnte. Ungeduldig zerrte er an dem lotternden Rock seiner Mutter und lachte verstohlen hinter ihren Beinen hervor. Weiße Zähne - der Schnee von Afrika.
Die schwarze Familie wusste, dass ich kommen würde. Mein Chef hatte von mir erzählt. Nicht, dass er viele Worte verloren hätte, nur eben, dass auch ich aus seinem Land stammte, und dass ich sie und ihre Hütte gerne besuchen würde. Seit ein paar Wochen arbeitete ich bei ihm, am Indischen Ozean, in Südafrika, fern von zu Hause.
Apartheid beherrschte noch das Land. Und ein wenig war das wie Krieg; ein unnötiger, abscheulicher Krieg im schönsten Land der Welt. Es war geteilt. Nicht durch eine hässliche, unüberwindbare Mauer oder durch Stacheldraht und nicht mittendurch. Ein unsichtbares Hindernis teilte überall, schien sich ständig zu verschieben und über die Gesetze zu wachen. Eine Minderheit, die einst in diesem Land aufgenommen worden war, hatte das Gesetz geschaffen. Eine Minderheit, die dachte, es sei besser so; sie hätte mehr Rechte. Ein Land geteilt in Weiß und Schwarz, aber auch in arm und reich. Geteilt in... "alles dürfen" und in "nur geduldet", geteilt ohne Möglichkeiten etwas verändern zu können. Und doch war es möglich - aber es brauchte Zeit. Sehr viel Zeit.
Schwarze saßen ganz hinten im Bus, aber der Fahrer vorne war schwarz. Sie aßen in anderen Restaurants, aber sie bedienten die Weißen, und meistens wohnten die Schwarzen weit außerhalb der Städte in eigenen Vierteln, ohne Komfort, hinter Stacheldrahtverhauen. Und Schwarze verdienten beinah nichts, soviel hatte ich bereits mitbekommen.
Dass ich meinen Koffer bei der Ankunft nicht selbst tragen durfte, aber der schmächtige Boy ihn mühsam auf dem Boden nachschleifte, hatte mich gestört. Geschämt hatte ich mich, richtig geschämt ein Weißer zu sein. Meine ersten Tage am Südzipfel von Afrika waren enttäuschend und doch so eindrücklich, aber auch widersprüchlich. Konnte so ein Apartheidgesetz wirklich wahr sein? Was für Menschen schufen solche Gesetze? Nicht die Schwarzen waren ausgegrenzt, sondern ich als Weißer. Als Fremder in diesem Land fühlte ich mich unwohl. Aber meine Gedanken hielten nicht einmal meinem Selbstmitleid stand. Doch als Weißer stand mir in Südafrika die Welt offen.
Wenn die Schwarzen lachten, tanzten und sangen, beruhigte es mich, sie glücklich zu sehen. Natürlich war es purer Selbstbetrug. Die Schwarzen waren Gefangene in ihrem eigenen Land, Sklaven ohne Rechte, Menschen ohne Würde.
Auch der Strand war den Weißen eingeräumt, sogar ihre Hunde tummelten sich in den Wellen, und natürlich wurde auch der Sand von Schwarzen gepflegt und die Erfrischungen von ihnen gebracht.
Eine Schwarze, Irene hieß sie, brachte mir jeden Tag vor dem Frühstück den Tee. Ich mochte sie, auch nachdem sie mir Kleider gestohlen hatte. Ihr Bruder hatte nichts, kein Geld und keine Kleider; und ich hatte noch immer genug. Irene hatte sich nie schuldig gefühlt, aber von da fragte sie mich, wenn sie etwas brauchte.
Nelson Mandela saß noch immer gefangen auf der kleinen Insel, von wo es kein Entrinnen gab; und so würde es noch einige Jahre bleiben.
Mein Chef hatte mich auf seinen Landsitz, einige hundert Kilometer östlich der Stadt eingeladen.
Die schwarze Familie wohnte in einer kleinen runden Hütte am Rande des leicht abschüssigen Grundstückes. Sie taten dies und jenes um zu leben und hielten seinen schmucken Besitz in Stand. Ihre kleine Hütte, in der sie alle zusammen hausten, war kleiner als mein Gästezimmer und vor allem düster, ohne Fenster und mit nur einer Öffnung im Dach, dem Rauchabzug. Ihnen fehlte auch ein Bad und eine Küche. Aber eigentlich hatten sie alles, was sie brauchten. Mitten in ihrer Hütte brannte ein offenes Feuer und darüber wurde in einem großen Kessel gekocht, Suppe Brei oder heißes Wasser. Ein rauchiger Geschmack hing an ihren Kleidern.
Nie würden sie ohne Auftrag das Haus des Chefs betreten, und nie würden sie sich in die Polster setzen, darin über Nacht bleiben oder auch nur etwas wegnehmen. Sie verdienten sehr wenig und trugen die Kleider der Familie aus. Eben was sie so bekamen, Kinderkleider und Hemden, die sich zur Reparatur nicht mehr lohnten oder Dinge aus dem täglichen Bedarf, denen die Weißen überdrüssig geworden waren. Die Kinder erhielten Spielzeug zu Weinachten und ab und zu etwas Süßes.
Mein Chef behandelte die Familie nicht schlechter, als seine Nachbarn die ihrigen Bediensteten, leider auch nicht besser. Er machte sich keine Gedanken über Schwarze oder über Apartheid. Schwarze waren einfach da. Es waren viele, immer schon. Sie waren da, als er in das Land kam und sie würden da sein, wenn er das Land wieder verließ. Er wohnte in diesem Haus und die Schwarzen in ihrem. So war es Gesetz. Eines Tages würde es nicht mehr so sein, zu diesen Worten ließ er sich immerhin verleiten. Vielleicht hatte er doch Angst davor. Immerhin hatte er viel zu verlieren, wie alle Weißen, auch sein Leben.
Eines Tages hatte ich meinen Arbeitsvertrag erfüllt, meine Zeit war um. Es war eine gute Zeit, aber nun reiste ich ab. Südafrika, wenigstens einen Teil davon, hatte ich gesehen und andere Länder lockten.
Jahre später, die Lage am Kap hatte sich zugespitzt, beschäftigte ich mich viel mit Südafrika. Im Ausland gelangte ich an sehr gute Informationen. Es konnte nur noch einige Wochen dauern, dann endlich war die Apartheid, diese sinnlose Weltanschauung zu Ende.
Ab und zu dachte ich an "Hello". Inzwischen war er ein Mann geworden. Erinnerte er sich noch an mich? Ein tolles Spielzeugauto hatte ich ihm geschenkt, bei meinem letzten Besuch. Seine Augen hatten geglänzt. So etwas hatte er noch nie bekommen. Ob ich ihn doch noch für mich gewinnen wollte? Ich wusste es nicht mehr. "Hello" war jetzt erwachsen.
Durch Zufall schlug ich diese Zeitung auf. Ich blättere gerne in Zeitungen, hauptsächlich ausländischen, und ich lese alles darin. Mandela war zurückgekehrt. Ein Foto eines ernsten, stolzen Mannes prangte auf einer Seite, die sich mit dem neuen Südafrika befasste. Er stand mitten in einer Gruppe Schwarzer. Schwer bewaffnet, breitbeinig, geflankt von anderen Mitgliedern des ANC feierte er die Befreiung. "Hello" schoss es mir durch den Kopf, es musste "Hello" sein. Er stand nicht da, wie damals, halb verdeckt und Schutz suchend. "Hello" war ein freier und stolzer Südafrikaner geworden. Für ihn hatte ein neues Leben begonnen. Jetzt brauchte er sich nicht mehr hinter seiner Mutter zu verstecken, und er brauchte nicht mehr die alten zerrissenen Kleider der Weißen zu tragen. Er war frei, endlich frei.
Eine zerschlissene Latzhose trug er damals. Darauf stand nur ein Wort - seine Botschaft: "Hello".



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